“Diese sogenannten Fans”

Nach dem gestrigen Platzsturm des Berliner Publikums bei der möglicherweise alles entscheidenden Niederlage gegen den Club aus Nürnberg lesen sie sich mal wieder überall: Die Worte von den “sogenannten Fans”. Jene sind gemeint, die sich in blinder Wut und fehlgleiteten Enttäuschung mit Plastikfahnenstöcken bewaffneten, den Sicherheitsgraben überwunden und den Innenraum stürmten.

Dieses “sogenannt” soll, das brauche ich niemandem, der einigermaßen lesen kann, sagen, vor allem eines implizieren: Richtige Fans sind das nicht. Richtige Fans feuern ihre Mannschaft an, sind leidenschaftlich, pfeifen vielleicht auch mal, wenns nicht läuft und das zur (Un)Kultur des Vereines dazugehört, aber gewaltsam sind sie nicht. Das hier aber sind nur verkleidete Gewaltbereite, die nur so tun, als wären sie Fans.

Das ist Unsinn. Leider.

Die hundert Jungs (ich vermute mal, daß es sich in erster Linie um männliche Anhänger Herthas handelte), die da gestern in zweifelsfrei vollkommen dämlicher Art und Weise auf sich aufmerksam machten, sind genau die, die sonst ihren Verein anfeuern, leidenschaftlich unterstützen oder eben auspfeifen (was natürlich das genaue Gegenteil von Unterstützung ist). Sie sind Fans. Keineswegs handelt es sich um untergeschmuggelte, als Fußballfans verkleidete Kuckuckseier.

Natürlich ist der Umkehrschluß nicht zulässig: Nicht jeder fanatische Unterstützer eines Vereines findet kein anderes Mittel, auf das Gefühl der ohnmächtigen Enttäuschung mit Gewalt zu reagieren. Insofern ist es durchaus legitim, darauf hinzuweisen, daß nicht alle Menschen, die regelmäßig ein Fußballstadion ihrer Wahl aufsuchen, zu blindwütiger Gewalt neigen. Das aber macht aus jenen, die es tun, noch lange keine Nicht-Fans.

Auch wenn das, was da gestern im Olympiastadion geschah, in dieser Form bislang einmalig ist, so ist es doch nur eine Zuspitzung von Alltäglichem: Jedes Wochenende reklamieren Fußballfans lautstark das Recht auf Erfolg ihrer Mannschaft, fordern die Befriedigung des eigenen Egos durch erfolgreichen Fußball ihrer Mannschaft. Ob das eher harmloses Auspfeifen der eigenen Mannschaft ist, oder das Fordern von rollenden Köpfen hinterher, ob es der inzwischen leider recht weit verbreitete Slogan “Wenn ihr absteigt, schlagen wir Euch tot” ist – Daß die Massen auf den Rängen ohne zu zögern ihrer eigenen Mannschaft die Unterstützung entziehen und mit Gewalt – egal ob verbaler oder physischer Natur – drohen, so ihr Ansinnen nicht erfolgreich in die Tat umgesetzt wird, ist keineswegs unüblich und ganz gewiß nicht die Folge untergeschmuggelten Kuckuckseier, wie es die Formulierung von den “sogenannten” suggerieren will.

Ein paar Klarstellungen: Keineswegs möchte ich gutheißen, was da gestern geschah. Ich kenne tiefste Enttäuschung durch meinen Verein – ich bin effzeh Fan, natürlich kenne ich die – aber all das, sei es das Auspfeifen, sei es der oben genannte Slogan oder gar solche Aktionen wie die gestern, war mir schon immer und wird mir immer völlig unverständlich bleiben. Denn mit Unterstützung des eigenen Vereins hat es nie zu tun.
Und: Es geht mir mitnichten darum, zu kriminalisieren. Wenn ich sage: Auch jene die da gestern den Platz stürmten, sind Fußballfans, ganz ohne das “sogenannte”, will ich damit nicht zu stärkeren Sanktionen allen Fußballfans gegenüber aufrufen.

Die Befriedigung des eigenen Egos, nannte ich es weiter oben, und ich denke, da ist der Hase im Pfeffer begraben. Wer das Gefühl hat, sich tagein, tagaus für seinen Verein aufzuopfern und nicht in der Lage ist, zu abstrahieren, weil er es nicht gelernt hat, muß den Misserfolg, insbesondere wenn er so massiv daherkommt wie in Herthas Fall, als persönlichen Affront begreifen. Kommt dann noch zu der Abstraktionsunfähigkeit das Unvermögen, die Enttäuschung durch den als persönlichen Angriff verstandenen sportlichen Misserfolg in Bahnen zu kanalisieren, die nicht in Gewalt münden, kommt das heraus, was wir da gestern sehen konnten.

Fußballfans sind sie trotzdem. Ob einem das gefällt oder nicht.

Schöner Wohnen

Vorab: Dies ist gnadenloser Contentklau, denn gefunden hab ich es bei thisblogrules.com, wo für den geneigten Leser die “12 World’s weirdest stadiums” zusammengesammelt worden sind. Und noch nicht mal gefunden hab ich es selbst, sondern die fussball_arena.

Aber sei es drum. Das erste Bild zeigt sich und ich denk: Danke schön. Siehe selbst:

Nun mal ehrlich, liebe Mitfanatiker – kann es ein schöneres Wohnen geben? Der Morgen graut, die Vorhänge werden aufgezogen und der Blick fällt die nächstbeste Tribüne. Ein romantisches Stelldichein unter der Anzeigetafel. Das Kindsvolk wächst auf beim Räuber und Gendarmspiel zwischen Block G und H. “Ich bring nur schnell den Müll in den Spielertunnel”. Samstagnachmittägliches regeneratives Sonnenbaden (inklusive Radiokonferenz für die Spielstände aus den anderen Stadien natürlich) auf der Pressetribüne. “Liebe Nachbarn, heute abend könnte es eventuell laut werden, ich feier meinen Geburtstag auf den Stehplätzen, kommt doch vorbei”. Und in den langen und dunklen Wintermonaten macht man einfach mal zwischendurch das Flutlicht an.

Liebe Stadienfreunde (Wir ignorieren an dieser Stelle, daß es sich eigentlich um ein Baseballstadion handelte) – was könnte es schöneres geben?

Eben.

[Winterpausengeschichten] Das Spiel, daß es nie gab

Im vergangenen Herbst war es, daß sich eine kleine, aber illustre Reisegruppe abermals aufmachte aus Berlin in ein Land zu reisen, daß sich nach kollektiver Findungsdiskussion im Vorfeld den Beinamen “Absurd” verdiente. Das letztmalige Ziel Weißrussland an Absurdität zu übertreffen würde schwer werden, soviel war klar, aber da der Großteil der Truppe (genau genommen alle außer dem Autor) im Osten aufwuchs, schien jenes kleine, unscheinbare Land zwischen Holland und Frankreich kein schlechtes Ziel. Belgien, Land des Kirschbiers und der Pommessoßen in x-tausend Variationen. Kirschbier. Geht es noch absurder*?


Es sieht nur so aus, als hätte es dieses Spiel tatsächlich gegeben.

Und natürlich Fußball. Der Besuch eines Fußballspiels ist selbstverständlich Pflicht für Reisen dieser Art. Allerdings, so dachte man vorher, würde hier der Absurditätsvergleich klar zu Gunsten Weißrusslands ausfallen, der belgische Fußball schien doch westeuropäisiert genug im Vergleich zu einem Spiel in der ersten belorussischen Liga. Doch weit gefehlt, jedenfalls im Nachhinein.

Daß die Wahl eines geeigneten Spiels schwer gemacht wurde, hätte schon ein Zeichen sein können. Das eigentlich präferierte Standard Lüttich wollte uns nicht, da sein Ligaspiel mit unseren Reiseplänen kollidierte, schließlich kann man nicht gleichzeitig in Liège und in Ostbelgien, genauer beim Spiel Alemannia Aachen gegen Union Berlin sein, ein Termin, der natürlich Pflicht für uns war. Also dann: Royal Antwerp FC – Zweitligist, Ältester Fußball Verein Belgiens. Hervorragendes Ziel also für Fußballnostalgier. Einmal in Antwerpen angekommen, mussten wir allerdings feststellen, daß das Heimspiel kurzerhand verlegt worden war. In dieser Stunde der Not kam Germinal Beerschot, immerhin Erstligist, daher. Samstagabend, Heimspiel gegen Excelsior Mouscron.

Hübsche kleine Absurditäten gab es da zu sehen. Zum einen der gastgebende Verein selbst, mitten in einer Vorortsiedlung gelegen, und auf diese Weise auf englische Art verwurzelt erscheinend, dabei handelt es sich doch um ein Kunstprodukt, daß nach ca. 234786 Umbenennungen und Ortsverlegungen erst richtig 1999 durch Fusion ins Leben gerufen wurde. Dann auch das Spiel selbst: Die erste Halbzeit sah eine drückend überlegende Gastmannschaft aus Mouscron, der es allerdings erst kurz vor Halbzeitpfiff gelang den längst überfälligen Ausgleich zum 1:1 zu erzielen. Im zweiten Spielabschnitt dann ein völlig auf den Kopf gestelltes Spiel, Germinal Beerschot führte nicht nur früh, sondern hatte gefühlte 98 % des Ballbesitzes, während die Mannschaft aus Mouscron offenbar völlig vergessen hatte, was man so macht, mit diesem merkwürdigen runden Ding, auf einem Fußballfeld herumstehend. Die 2% Ballbesitz jedoch reichten aus, um in der 88. Minute den Spielverlauf ad Absurdum zu führen: Ausgleich, 2:2. Aus dem Nichts ist eine beliebte und zugebenermaßen schwerstens abgedroschene Spielbeschreibungsfloskel, selten war sie treffender. Doch Germinal wußte tatsächlich zu antworten: Irgendwann in der elend langen Nachspielzeit, für die es um ehrlich zu sein keinen Grund gab, fiel doch noch das siegbringende 3:2. Torschütze: Ein bis dahin nur durch schlimmste Stümperei im höchsten Maß aufgefallener Bart Goor. Bart Goor. Geht es absurder?

Die Absurditätskrönung ist jedoch, daß dieses Spiel quasi niemals stattgefunden hat. Jedenfalls der offiziellen Lesart nach. Wie der geneigte und allseits interessierte Leser vermutlich weiß, gehört Excelsior Mouscron zu den ersten Opfern der Finanzkrise und mußte kürzlich die Segel streichen, nachdem zum dritten Mal in Folge kein Team gestellt werden hätte können. Zwangsabstieg in die dritte belgische Liga sowie Annulierung aller bislang gespielten Ligapartien dieser Saison ist die Strafe für den Klub, der einst die Mpenza Brüder groß machte und für zwölf Spiele Heimat des heutigen Hoffenheimers Demba Ba war.

Machs gut, Excelsior Mouscron und komm mal wieder zurück in den bezahlten Fußball. Und unter uns: Ich hab es gesehen, ich kann bezeugen, daß es das Spiel gegeben hat. Ehrlich.

* Soviel sei verraten: Es geht. Schokoladenbier ist wirklich die Krönung des Absurden in Sachen Bier.

Wirre Welt des Fußballs

Der Club Atlético Banfield ist argentinischer Meister geworden. Unbekannt? Kein Wunder, schließlich ist der Verein aus Banfield, aus der Metropolregion Gran Buenos Aires, ein gänzlich unbeschriebenes Blatt. Sechs Meistertitel in der 2. argentinischen Liga und sieben Aufstiege in die erste Liga stehen zu Buche, schlägt man bei Wikipedia unter den größten Erfolgen des Vereins nach.
Damit wird wieder mal keiner der beiden großen, auch in Europa bekannten Vereine, River Plate und Boca Juniors, Meister. Im Gegenteil, wie schon in der ersten Halbserienmeisterschaft des Jahres 2009, der Clausura, spielten beide Vereine keine große Rolle, auf Platz 10 und 13 dümpeln die beiden herum, und das kann sogar noch schlechter werden, der Spieltag ist noch nicht abgeschlossen.
Banfield reiht sich damit ein in die überraschenden Erfolge kleiner Mannschaften: 2007 gewann CA Lanús die Meisterschaft, in der Clausura 09 konnte sich Vélez Sársfield erst am letzten Spieltag gegen No-Name CA Hurácan durchsetzen. Abgesehen von Vélez alles Mannschaften, die weit entfernt davon sind, zu den großen Fünf zu gehören.
Der Erfolg der Grün-Weißen aus Banfield hing jedoch am seidenen Faden. Zwei Punkte Vorsprung vor dem letzten Spiel, das in der Bombonera gegen Großmeister Boca stattfinden sollte und prompt mit 2:0 verloren ging. Verfolger Newell’s Old Boys aus Rosario hatte zeitgleich ein Heimspiel, die Sache also im Nachhinein betrachtet in der Hand – und verlor ebenfalls 0:2. Ich weiß leider nicht, was “sich in den Arsch beißen” auf Spanisch heißt, aber ich bin sicher, in Rosario wird es dieser Tage ausgiebig getan.

Potjomkinsches Dorf in Charlottenburg

“Die jehörn einfach in die erste Lija.” S. ist gebürtiger Köpenicker und seit vielen Jahrzehnten Fan des 1. FC Union Berlin. Gemeint ist aber nicht der gut aufspielende Zweiliga-Aufsteiger, sondern der andere Verein der Stadt, der im Profifußball zu finden ist, die Hertha aus Charlottenburg. Wie man weiß, spielen die gerade am Rande des Abgrunds der ersten Liga, im freien Fall gen Liga Zwei.
Und S. ist nicht der einzige, der in Berlin so denkt und spricht. Andere schreiben auch so. Das Mitleid geht um.

Mitleid für einen Verein, der es nach der 16 jährigen Zweitligazugehörigkeit zwischen 1980 und 1996 (unterbrochen von zwei Erstligajahren, die jeweils auf dem 18. Platz endeten und zum sofortigen Wiederabstieg führten) nie geschafft hat, sich in Berlin eine nennenswerte Basis in der fußballinteressierten Bevölkerung der Stadt aufzubauen. Der seine Heimspiele zum Ende dieser Zweitligazugehörigkeit mit einem geschätzten Zuschauerschnitt von Sechseinhalbtausend regelmäßig vor einer Geisterkulisse austrug. Der nach dem Wiederaufstieg zur Saison 97/98 sogleich auf dicke Hose machte, sich fortan Hauptstadtverein nannte und davon sprach, zukünftig Deutschland regelmäßig in der Champions League zu vertreten. Dessen Heimspiele zu besuchen eine Qual ist, weil die Fahrt dahin mit den Öffentlichen nur selten nicht vom U-Bahnlied begleitet wird. Dessen Fans sich die Auswärtsspiele in Köln gerne in der FC-Kneipe angucken, weil alle anderen fußballzeigenden Kneipen lieber die Bundesliga-Konferenz zeigen als Hertha – mitten in Berlin. Der sich im zurückliegenden Sommer endlich vom BesondersDickeHosenMann Hoeneß trennte, um Kontinuität reinzubringen – um sich anschließend beim ersten Gegenwind geschwind vom Trainer zu trennen.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Häme verspüre ich nicht. Dazu kenne ich die emotionalen Abgründe, die sich in einer solchen Situation auftun, leider zu gut. Und es gibt ohne Frage auch nette Herthaner, denen dies nicht gegönnt sei.
Warum ich – oder sonst jemand – aber Mitleid mit einem Verein haben sollte, den auch sonst niemand interessiert (es sei denn der Verein spielt ausnahmsweise mal um die Meisterschaft, dann ist das Eventpublikum da), leuchtet mir nicht ein. Hertha ist mir im besten Falle egal und mir fallen aus dem Stegreif mehrere Händevoll Vereine ein, die mir sympathischer sind. Traurig wäre ich nicht, würde das Potjomkinsche Dorf, das Hertha spätestens seit Wiederaufstieg darstellte, qua Abstieg in sich zusammenfallen. Nicht zuletzt deswegen, weil in Sachen Operation Nichtabstieg jeder Verein, der hinter dem FC steht, ein guter Verein ist.

Schöner Fehlerteufel

Über die Situation von Energie Cottbus:
“Der Trainer überlegt auch, ob er dem zuletzt gescholtenen Abwehrchef Markus Brzenska eine Dankpause einräumt.”

‘Danke Trainer, für die Pause’? ‘Nachdem ich mich bei dem Aufsteiger Paderborn am vergangenen Spieltag beim Heimspiel fünfmal für ein Gegentor bedankt hab, mach ich jetzt mal Pause davon’? ‘Danke für diesen guten Morgen’?

Zu finden in der Berliner Zeitung (Printausgabe) von heute – unter der Überschrift “Eine kleine Denkpause”. Na also, geht doch.

Boca Juniors ante Portas

Wer wie ich ein Herz für den argentinischen Fußball hat und damit nicht nur die Albiceleste meint, für den gibt es heute ein gar seltenes Schmankerl. Eine argentinische Klubmannschaft live und in Farbe im deutschen Fernsehen. Genauer genommen gibt es leider nur ein halbes Schmankerl.

Der “Audi-Cup” wird gespielt, in München. Die Gastgeber Bayern München, Manchester United, der AC Milan und eben – tata – Boca Juniors treffen bei diesem Miniturnier aufeinander. Heute spielen im ersten Halbfinale Boca gegen Manchester United, im Anschluß dann Bayern gegen Milan. Morgen, Donnerstag, gibt es dann das Spiel um Platz 3 und anschließend das Finale. Mit anderen Worten: Stinknormale Freundschaftsspiele mit internationaler Besetzung in ein güldenes Eventkleid gepackt.

Aber was nimmt man nicht alles in Kauf um Boca mal live im Fernsehen zu sehen. Die letzte Gelegenheit dieser Art dürfte 2001 gewesen sein, als die Xeneizes im Weltpokalfinale gegen Bayern München spielten. Dort standen sie zwar 2003 ebenfalls, aber auch der Weltpokal ist dem deutschen Fernsehen ja ohne deutsche Beteiligung zu langweilig, ebenso wie die Copa Libertadores oder andere sportlich herausragende Ereignisse an denen keine deutsche Mannschaft teilnimmt.
Es könnte also alles wunderbar sein – wenn nicht das übertragende ZDF (Sendung beginnt um 19:25 Uhr) das erste “Halbfinale” heute vollends zu einem Event-tralala degradieren würde, indem es nur die zweite Halbzeit zeigt. Mit dem Zweiten sieht man nur die Hälfte.

In Argentinien ist die Aufmerksamkeit naturgemäß eine andere. Nicht nur das Titelblatt der täglich erscheinenden Fußballbibel Olé widmet sich dem Thema (s.o.), auch die Fans Bocas sind stolz wie Oskar. Und nutzen die Gelegenheit um genüßlich über Erzfeind River Plate herzuziehen. Die nämlich sind gerade auf Canada Tour und spielen gegen so illustre Gegner wie den Toronto FC und Montreal Impact. Hui.


Der Spott der Boca Fans im Internet: “Vorsaison 09: Wir spielen nicht Soccer..
.. Wir spielen Fußball. Und zwar den Großen!

Gastbeitrag: Von den Studenten, die auszogen, das Siegen zu lernen

Aus gegebenen Anlaß übergebe ich heute das Wort an Sasha:

Wer dieses wunderfeine Blog desöfteren genießt wird nicht umhin gekommen sein zu bemerken, dass die Sympathien hier uneingeschränkt den zwei edelsten rot-weißen Vereinen in Deutschland zugeteilt sind. Huldigung und Zuneigung werden nur durch eine Farbe ergänzt, und zwar das gottgleiche Celeste Argentiniens. Dem aufmerksamen Leser dieses Blogs wird ebenso nicht entgangen sein, woher diese Leidenschaft stammt. Vor viel zu langer Zeit unternahmen der Spielbeobachter und ich eine Reise nach Argentinien und kamen vollends gauchoisiert wieder zurück. Nach etlichen Monaten hatten wir zahlreiche Erfahrungen und Erkenntnisse angesammelt und brannten darauf diese den armen Ungläubigen zu offenbaren. So war nun endlich die nervenaufreibende Frage nach dem besten Fußballer aller Zeiten geklärt sowie die ernüchternde Gewissheit erlangt, dass jedes Rindfleisch außerhalb Argentiniens wie Pappe schmeckt.

Selbstredend hatten wir auch jeweils einen Fußballverein für uns entdeckt. Meine Wahl fiel auf Estudiantes La Plata. Und da eben jener Club in der heutigen Nacht furios den Copa Libertadores eroberte, darf ich mich heute hier als Gastredner austoben und dem verehrten Publikum erklären, wie diese Leidenschaft entbrannte.


Morgens um halb fünf in Deutschland: Links geht die Sonne auf, rechts bereiten sich via Stream die Hinchas von Estudiantes aufs Feiern vor.

Groundhopping und das intensive Anbahnen von Vereinsliebschaften auf Reisen in fernen Ländern ist nicht jedermanns Sache. Viele verweigern sich dieser Promiskuität und beschränken sich in ihrer Leidenschaft auf den einen und einzigen Verein. Dies sei ihnen gegönnt. In meinem Fall ist dies nicht so. Die Entdeckung fremder Länder verläuft nicht nur diagonal durch deren Küchen und Kneipen sondern eben auch durch deren Stadien. Dies hat zudem auch noch den Vorteil, dass man entgegen der „Wahl“ des ersten Herzensvereins, die zumeist eine eher willkürliche und unbewusste ist, hier mit objektiven Kriterien herangehen kann und den Club, der am besten zu einem passt, erwählen kann.

Die erste Adresse war für uns beide schon Sekundenbruchteile nach der Wahl des Reiselands klar – Union de Santa Fé! Dieser sympathisch verlotterte Zweitligist musste zweifellos beehrt werden und das wurde er auch. Noch heute verfolgen wir in sporadischen Abständen die Entwicklungen unserer ersten Begegnung mit Fußball auf dem argentinischen Kontinent. Doch wir wollten mehr. So schäbig das jetzt klingen mag: Ein Erstligist musste her. Senor Spielbeobachter ließ sich nicht lange bitten und machte umgehend eine elegante Punktlandung bei Independiente. Diese, durchaus respektable, Wahl ließ in mir die Nervosität wachsen. Natürlich konnte ich ihm nicht einfach hinterherwatscheln. Ich wollte meinen eigenen Weg finden und graste daher verzweifelt die möglichen Clubs nach Übereinstimmungen mit meiner Person ab.

Schließlich fiel mein Blick auf die Studenten aus La Plata. Meine Sympathie mit diesen rotweißen Vorstadtkickern mag auf den ersten Blick banal erscheinen. Eine Mannschaft, die sich „Estudiantes“ nennt, gewinnt tatsächlich im Jahr globaler Studentenrevolten 1968 den Weltpokal – das hatte was! Erstes Interesse war geweckt, ich begann zu justieren. “La Pincharrata”, wie der Spitzname der Studenten auch ist (kommt von der berühmten medizinische Fakultät der Uni La Plata, dessen Studenten dafür berüchtigt sind, besonders gerne Ratten aufzuspießen) befindet sich irgendwo im tristen Grenzbereich der Diskussion um die Großen Fünf oder auch Sechs. River, Boca, Independiente und San Lorenzo sind hier unbestritten dabei. Ob aber nun daneben noch Racing, Velez oder eben Estudiantes in den argentinischen Fußballolymp gehören, darum ranken sich endlose Debatten und Streitereien. (Nach dem Gewinn des vierten Copas, umsäumt von einem Weltpokal und vier Meisterschaften erübrigt sich in meinen Augen diese unsägliche Kleingeisterei!)

Große Teile der legendenumwogten Geschichte der Estudiantes entdeckte ich erst nach und nach. Dabei bin ich weit entfernt diese gewaltreichen Episoden der Vereinsgeschichte gutzuheißen, doch sie verliehen den Studenten Konturen und wirkten gegen das graue Bild eines mittelmäßig erfolgreichen Vereins, der seine besten Zeiten hinter sich hatte. Dieser Club hatte Geschichte gemacht, wenn auch nicht im positiven Sinne, aber er stellte etwas dar. Auch die Spuren der beiden Verons, die mit Estudiantes eng verbunden waren, trugen dazu bei, mir diesen Verein immer sympathischer zu machen. War ich doch schon vorher ein glühender Anhänger von Veron gewesen, dessen Spiel mich stets begeistert hatte, wenn ihm auch die großen Erfolge verwehrt blieben. Und so wuchs und gedieh meine Zuneigung. Sollten sie doch alle mit ihren vor Tradition berstenden Hauptstadtvereinen posen – ich hatte meine fußballerische Heimat in Argentinien gefunden.

Die letzten Jahre gaben mir dann aber auch noch hinsichtlich des Erfolgs Recht. Hätte selbst ich im Jahre 2003 nicht mit einem Titel für Estudiantes gerechnet und mich demütig auf einen baldigen Erfolg des Pokalkrösus’ Independiente eingestellt, konnte ich bar vor Staunen 2006 den Gewinn der argentinischen Meisterschaft feiern. Mein Ein-Mann-Auto-Korso (ohne Auto aber mit argentinischer Flagge!) durch den Friedrichshain wird für alle Zeiten in den Annalen dieses Bezirks bleiben. Nur wenige Jahre später sitze ich nun hier, immer noch reichlich übernächtigt und kann es immer noch nicht fassen – die Copa nach 39 Jahren! Ein erfülltes Fußballleben liegt hinter mir, doch außer ein paar tollen Aufstiegen und schon längst vergilbten Erinnerungen an längst vergangene Oberligameisterschaften habe ich nicht sonderlich viele Titel als Fan ansammeln dürfen. Und nun das. Obwohl ich mich vielleicht ein wenig überfordert fühle, kann ich nicht behaupten, dass es sich schlecht anfühlt.

Vélez Campeon

Ein hoch dramatisches Finale. Alles andere wäre wohl arg untertrieben.
Vor dem letzten Spieltag der argentinischen Clausura 2009 , der am vergangenen Wochenende statt fand, standen die beiden sich im Estadio José Amalfitani von Sarsfield gegenüber stehenden Mannschaften auf den ersten beiden Plätzen der Tabelle. Underdog CA Huracán, 1973 das erste und letzte Mal argentinischer Meister, vor dem Spieltag auf Platz 1 zu Gast bei Vélez Sársfield, ein Punkt dahinter, sechsmal argentinischer Meister. Entscheidungsspiel am letzten Spieltag also.

Und es war ein Spiel, dessen Dramatik der Ausgangssituation würdig war: In der 19. Minute wird das Spiel erstmals unterbrochen – wegen Hagelschlags. 24. Minute – Elfmeter für Vélez, berechtigt, wie man dazu sagen muß angesichts des weiteren Spielverlaufs. Gaston Monzón, Torwart Huracáns hält. Mit 0:0 geht es in die Pause, Huracán, in den letzten Jahren deutlich häufiger in der 2. Liga zu finden, ist Meister zu diesem Zeitpunkt.
In der 83. Minute dann kommt es zum folgenschweren Duell: Monzón und Vélez-Stürmer Joaquín Larrivey strecken sich am Fünf-Meter-Raum beide im vollem Tempo zum Ball, Montón ist schneller und erwischt den Ball, Larrivey hingegen kommt zu spät und springt mit beiden Beinen in den gegnerischen Torwart. Der kann dadurch den Ball nicht kontrollieren, Larriveys Teamkollege Maxi Moralez kommt an den Ball und schlägt ihn ins Tor. 1:0. Wütende Tumulte, in Folge dessen das Spiel ein zweites Mal unterbrochen wird, sind die Folge, doch weder diese noch eine 13 minütige Nachspielzeit nutzen Huracán etwas. Am Ende ist Vélez zum siebten Mal Meister und Huracán fühlt sich betrogen.

Bedenkt man allerdings die Tendenz der letzten Jahre, daß in Argentinien fast jeder Meister werden kann, sollte es nicht wundern, wenn Huracán bald wieder eine Chance hat.

Mehr Informationen gibts wie immer bei Fußball auf Argentinisch. Eine Zehnminütige Zusammenfassung des Spiels findet man hier.

Grüne Farbe bekennen

45 Minuten lang nutzten einige Spieler des Team Melli, der iranischen Nationalmannschaft, das heutige Qualifikationsspiel gegen Spitzenreiter Südkorea zu einem politischen Statement: Grüne Arm- und Schweissbänder trugen sie.


(Rechts der ehemalige Bayernspieler Ali Karimi, heute tätig bei Persepolis Teheran)

Irgendjemand in Teheran, dem das ganze offenbar weniger gefiel, griff dann wohl zur Halbzeit zum Telefon. In der 2. Halbzeit jedenfalls liefen die Spieler dann ohne das Zeichen der protestierenden Opposition auf. Das Bestreben um Kommunikationsherrschaft scheint allen Fußballverbandspräsidenten gemein zu sein.

Das Spiel endete übrigens 1:1 – was dem Iran gemeinsam mit Nordkorea und Saudi-Arabien im Verfolgerfeld läßt.

Edit: Laut der BBC trug Mehdi Mahdavikia, Kapitän der Nationalmannschaft und Profi von Eintracht Frankfurt das Armband die gesamten 90 Minuten.