175 Millionen Euro

Hundertfünfundsiebzig Millionen Euro. Das ist die Summe, die die TSG Hoffenheim von einem normalen Fußballverein unterscheidet. Hundertfünfundsiebzig Millionen Euro hat Dietmar Hopp in den letzten acht Jahren in den Verein gepumpt. Das sind im Schnitt 21,875 Millionen pro Jahr. Bei einem Verein, wohlgemerkt, der vor acht Jahren gerade das erstemal in seiner Geschichte in die Oberliga aufgestiegen war.

Was hätte man da alles schönes für kaufen können.

Die wirre Welt des Ralf Rangnick

Offenbar ist da etwas schief glaufen, als in einem Reagenzglas der zukünftige Serienmeister TSG Hoffenheim herangezüchtet wurde. Die Zutaten “Normaler Menschenverstand” und “Wissen über Fußballkultur” wurden ganz offensichtlich vergessen.
Anders ist nicht zu erklären, was die Verantwortlichen da so von sich geben. Am Anfang der Saison schon bewies Chefkoch Hopp, daß er vermutlich Ahnung von kapitalistischen Mechanismen, keine aber von Fußballkultur hat, indem er Stadionverbote forderte für Fans “die sich mit dem Rücken zum Spielfeld aufstellen”. Hui. Wirklich ein schweres Verbrechen und natürlich ein Zeichen von Gewaltbereitschaft. Jedenfalls in Hopps Welt. In der Fußballwelt ist es in der Regel ein Zeichen von Protest, meist an die eigene Mannschaft oder den Verein gerichtet – aber vermutlich ist für Herrn Hopp Protest schon eine gewaltsame Aktion.

Nun hat Ralf Rangnick nachgelegt. Und der müsste es doch eigentlich besser wissen. Zornig wurde er, so schreibt die Süddeutsche, weil beim Hallenturnier in Mannheim die Fans des Waldhofs es wagten Hoffenheim auszupfeifen.

Hui.

Den neureichen Nachbarn, der im Vorbeigehen sämtliche Stufen übersprang, an denen Waldhof Mannheim seit Jahren scheitert. Das traditionslose Projekt, das erfolgreicher ist als der alte König der Region. Sollte Mannheim mal wieder erfolgreicher werden: Auch der potentielle Derbyfeind.

Der soll gefälligst nicht ausgepfiffen werden. Also wirklich.

In was für einer wirren Welt lebt Ralf Rangnick?
Und was bleibt vom Fußball, wie wir ihn kennen noch übrig, wenn sich die Rangnicker dieser Welt durchgesetzt haben?

Ich bin (k)ein Groundhopper

Nein, da hilft nichts: Misst man meine kümmerlichen Ground- und Länderpunkte mit dem, was ein amtlicher Groundhopper so auf seinem Kerbholz hat, wird auf den ersten Blick klar, dass es höchst vermessen wäre, würde ich mich zu dieser Gruppe zugehörig fühlen. Was in erster Linie daran liegt, dass ich keinerlei Anstrengungen unternehme, um am kommenden, dem darauf folgenden oder dem in drei Wochen möglichst viele Grounds abzuklappern – Verzeihung – zu „machen“. Aber schön wäre es schon.

Da kommt zusammen, was zusammen gehört. Das Bereisen unbekannter Städte und Länder und das schöne Spiel, das Flair fremder Stadien und fremder Fußballkulturen, an denen sich im Idealfall und wenn man das 1 x 1 der eigenen Fußballkultur einigermaßen beherrscht, vieles ablesen, übersetzen läßt. Dabei ist relativ egal, ob es sich um ein Spitzenspiel um die Meisterschaft handelt oder um ein unterklassiges Kampfspiel gegen den Abstieg in die sagenwirmal vierte Liga. Wobei mir der Verdacht kommt, dass ich das so nur sage, da ich noch nie in meinem Leben ein Champions League Spiel live im Stadion gesehen habe – ich fürchte, dass die Unterschiede zwischen einem solchen Spiel in Manchester und Rom gering sind, zu sehr dürften die medial betriebene Kommerzmaschine einerseits und die Eventfreudigen Ultras die kulturellen Verschiedenheiten plattgebügelt haben.

Natürlich, wäre ich ein Groundhopper, so hätte ich jedes Wochenende das Rechtfertigungsproblem, warum ich mir gerade z.B. FC Oţelul Galaţi gegen CS Pandurii Târgu-Jiu (Rumänische 1. Liga) angucke, statt zu Hause dem FC die Daumen zu drücken. Zu mehr als einem Teilzeitgroundhopper würde es also vermutlich eh nicht reichen – und selbst dann hätte ich Probleme mit dem Beigeschmack von Vereinsmeierei (Es reicht, 45 Minuten gesehen zu haben? Hallo? Nur Herthaner gehen früher nach Haus!) der jenen, die sich zu Recht Groundhopper nennen, zu eigen sein scheint. Vermutlich bin ich einfach nur Fußballromantiker mit Fernweh. Klingt auch irgendwie besser als Grundhopper.

Stell Dir vor, Du wirst Weltmeister – und keiner merkts.

Während sich die Bundesliga in den Winterschlaf begibt und deutsche Fußballfans beginnen, sich zu langweilen, brennt anderen Ortes noch Licht. Über die spannende Entscheidung im argentinischen Meisterschaftskampf schrieb ich ja bereits, die zweite Runde im Miniturnier der besten Drei konnten am Samstag die Boca Juniors für sich entscheiden. Am Dienstag kommt es jetzt zu der Entscheidung zwischen Boca und Tigre. Dreiundzwanzigster Titel für die Mannschaft aus dem Hafenviertel Buenos Aires oder erste Meisterschaft für den Verein aus dem Norden des Gran Buenos Aires, dem Großbezirk – spannend.

Spannend war wohl auch das Spiel um die Weltmeisterschaft. Manchester United gewann das Finale gegen den Südamerikanischen Vertreter LDU Quito mit 1:0 – den Spielberichten nach hochverdient, aber eben auch knapp.
Ich muss “war wohl” schreiben, weil das Spiel natürlich wieder mal nicht gezeigt wurde im deutschen Fernsehen. Falls in Deutschland überhaupt über den Wettbewerb berichtet wird, so nur unter ferner liefen. Welch ein Unterschied zu Südamerika, wo der Weltpokal tatsächlich als die Krönung, eben als die Weltmeisterschaft der Klubs angesehen wird.

Das hat natürlich viel damit zu tun, dass das Epizentrum des globalen Fußballs in Europa liegt und südamerikanische Spieler zwar gewichtiger Teil dieses Epizentrums sind, der südamerikanische Vereinsfußball aber aus europäischer Sicht als Peripherie wahrgenommen wird. Das Wissen um den europäischen Fußball – Vereine, Mannschaften, Spieler – ist in Südamerika ein weit größeres als umgekehrt. Das wäre mal eine spannende Umfrage: Wieviele südamerikanische Vereine dem deutschen Durchschnittsfan ad hoc einfallen – ob es mehr als drei oder vier wären?

Dass bei dem geringen Interesse (und natürlich den Anstoßzeiten) nicht erwartet werden kann, daß in Europa versucht wird mit z.b. Übertragungen des Copa Libertadores Geld zu verdienen, liegt demnach leider auf der Hand. Aber wenigstens der Weltpokal müßte doch drin sein. Und vielleicht wüchse damit auch das Interesse am Fußball vom anderen Ende der Welt.

Und weil es gerade so schön passt. Auf der schon mehrfach erwähnten Reise 2003 / 2004 durch Argentinien stiegen wir seinerzeit, soeben in Buenos Aires angekommen, nichtsahnend aus der Ubahn und gerieten in ein Meer aufgeregt wartender Boca Juniors Fans. Boca hatte zwei Tage zuvor den Weltpokal gewonnen und machte sich auf zur Triumphfahrt durch die Hauptstadt. Wenige Minuten später bahnte sich der Bus mit den Spielern und dem Pokal den Weg durch die jubelnde Menge. (Im Fenster oben sehen wir von links nach rechts: Carlos Tevez, den Pokal, Trainer Carlos Bianchi und Torwart Roberto Abbondanzieri – allesamt nicht mehr bei Boca)

GanzWeitAuswärts

Wer mal einen Blick ins Impressum geworfen hat, hat vielleicht gelesen, woher das Foto, das meinen Header ziert, stammt: Buenos Aires heißt die Stadt, wir sehen die oberen Ränge der Heimkurve des Estadio Pedro Bidegain, Heimat des Club Atletico San Lorenzo de Almagro. Vor fünf Jahren weilten Freund Sasha und ich für drei Monate im Süden Südamerikas und ließen uns natürlich nicht entgehen, soviele Fußballspiele mit zu nehmen wie möglich, was aufgrund der Sommerpause über Weihnachten und Neujahr weniger war als erhofft.

Neben aktiven Stadienbesuchen verbrachten wir viel Zeit mit anderen schönen Dingen. Zum Beispiel damit, uns mit Freude unser Gehirn waschen zu lassen: Ja, ohne Frage, Diego Armando Maradona ist Gott und bester Fußballspieler aller Zeiten in Personalunion – und das hat nichts damit zu tun, daß unserem Gefühl nach immer auf irgendeinem Fernsehsender eine Zusammenfassung mit den schönsten Maradona-Toren lief.

Eine unserer liebsten Beschäftigungen war die argentinische Regelkunde. Obwohl leider nur mit mittelmäßigen Spanisch ausgestattet, hatten wir die Grundzüge schnell raus, mit den Sonderfällen will ich hier niemanden langweilen: Es gibt zwei Saisons pro Jahr. Die Absteiger werden mit komplizierten Koeffizienten ermittelt, die sich ergeben indem die gesammelten Punkte aus den letzten sechs Saisons (also drei Jahren) durch die gemachten Spiele geteilt werden. Copa Libertadores Teilnehmer werden ähnlich ermittelt, nur noch komplizierter.

Und: Wer am Ende einer Saison ganz oben steht, ist nicht unbedingt Meister.

Genau das trifft gerade zu: Am vergangenen Wochenende endete die Apertura, also die “Hinserien-Meisterschaft”, wenn man so will. Das Eingangs erwähnte San Lorenzo hat die Meisterschaft auf Platz 1 abgeschlossen. Das nützt aber (noch) nichts, denn punktgleich auf Platz 2 und 3 liegen Boca Juniors und No-Name und Außenseiter CA Tigre. Und bei Punktgleichheit wird der Meister durch ein Entscheidungsspiel ermittelt, bei mehreren Mannschaften, wie in diesem Fall, kommt es zu einem Miniturnier. Jede Mannschaft spielt einmal gegen jede auf neutralen Plätzen. Sollte dann immer noch Punktgleichheit vorherrschen, entscheidet der direkte Vergleich aus der abgelaufenen Saison. Dann wäre Tigre Meister, das beide Spiele gegen die Konkurrenten gewinnen konnte.

Eigentlich aber auch egal, da das von mir favorisierte Independiente einen schmachvollen 18. Platz belegte. Maradonaseidank gibt es die oben erwähnten Abstiegsregeln, die eine Zweitklassigkeit verhindern.

Um dem eigentlich-schon-irgendwie-aber-auch-nicht Meister San Lorenzo zu huldigen, hier noch mal das Foto von oben in Gänze und unbearbeitet:
san lorenzo

Und vielen Dank an Fußball auf Argentinisch, dessen detaillierten Beiträge halfen meine Kenntnisse aufzufrischen und zu erweitern und das sowieso ein Lesebefehl für alle Argentinien-Interessierten ist.