Wieder kein Titel.
Was sich schon 2006 andeutete, hat sich 2010 verstärkt: Die deutsche Nationalmannschaft spielte den offensivsten Fußball. Schönheit, auch im Fußball, ist subjektiv: Manch einer empfindet sicher das spanische Kombinationsspiel, das aber sehr torarm daher kommt, als einen größeren Ausdruck von fußballerischer Schönheit. Oder vielleicht den wuseligen chilenischen Fußball, der neunzig Minuten Pressing beinhaltet. Es gibt sicher auch Verfechter der These, daß der holländische Fußball der strengen Ordnung ein Sinnbild von Schönheit ist – mit Ausnahme des Finales vielleicht, in dem die Niederländer nach Begutachtung des deutsch-spanischen Halbfinales der spanischen Ballsicherheit extreme Härte entgegensetzten.
Aber auch wenn es verschiedene Defintionen von fußballerischer Schönheit gibt – dass das deutsche Spiel zu einem der Favoriten in dieser Kategorie gehört, ist nach wie vor verwirrend. Die Inkarnation des Rumpelfußballs, die sich in den Achtzigern in zwei Weltmeisterschaftsendspiele graupte, gilt plötzlich als Vorbild für schnellen, schönen und offensiven Fußball. Doch all das nützt wenig, wenn es stets am Ende heißt:
Wieder kein Titel.
Natürlich, die Spiele gegen Australien, England und Argentinien waren sehr überzeugend, auch wenn sowohl Australien als auch England sich nicht als die erwartet schweren Gegner entpuppten. Auffällig dabei ist, dass die beiden Siege gegen die vermeintlichen oder tatsächlichen Großen des Weltfußballs Siege des 4-2-3-1 gegen ein antiquiert erscheinendes 4-4-2 waren. Trat der Gegner ebenfalls in dem diese Weltmeisterschaft beherrschenden System mit nur einer nominellen Spitze auf, wie zum Beispiel die Spanier, die erst zum Halbfinale den Systemwechsel vornahmen und prompt ihr bestes Spiel des Turnier machten, war es vorbei mit der deutschen Herrlichkeit. Wie auch schon zuvor gegen Serbien und Ghana.
Das soll nichts schmälern. Die deutsche Mannschaft hat guten, teilweise herausragenden Fußball gespielt. Die jungen Spieler und das durch den Ausfall Ballacks und die Ausladung von Thorsten Frings ermöglichte neue Mannschaftsgefüge haben in Anbetracht der Unerfahrenheit und der noch nicht gänzlich manifestierten Hierarchie weit mehr erreicht als zu erwarten war und, vor allem, ihre Zukunft noch vor sich. Auch wenn die derzeit ins uferlose wachsenden Erwartungen wohl überhöht sind, denn zuviel Unwägbarkeit ist im Spiel: Wie Thomas Müller, völlig zurecht als bester junger Spieler des Turniers ausgezeichnet, den Ruhm und die gestiegenen Erwartungen verkraften wird, bleibt abzuwarten, auch wenn man geneigt ist, hier positiv zu spekulieren. Was wird sich durch eine Rückkehr Ballacks ändern, wer ersetzt mittelfristig die Weltmeisterschafts-Tormaschine Klose, kann Özil mit wachsender Erfahrung mehr Konstanz gewinnen oder muss Toni Kroos ihn mittel- und langfristig ersetzen – all das sind ungeklärte Fragen, die eine gesichterte Prognose nicht möglich erscheinen lassen.
Und all das unter der Vorraussetzung, dass Joachim Löw Bundestrainer bleibt, dass das System, die Idee und deren Vermittlung, die offenbar gut funktioniert hat, bleiben. Wobei auch Löw wohl Anteil hat am Scheitern im Halbfinale: Das schreckhafte Erstarren des deutschen Kaninchens vor der spanischen Schlange, das von der ersten Minute an sichtbar war, nicht zuzulassen, ist Trainersache. Möglicherweise hat Löw der Mannschaft zu oft von der spanischen Spielweise vorgeschwärmt. Dass auch die Kapitänsfrage neu überdacht werden darf, zeigte sich unmittelbar vor dem Spiel im Mannschaftskreis auf dem Rasen: Die Ansprache hielt Schweinsteiger, der Kapitän schwieg. All dessen unbenommen bleibt, dass es auch eine mutiger spielende deutsche Mannschaft, die an ihre Chance glaubt, gegen die an diesem Abend exzellent spielenden Spanier schwer gehabt hätte.
So aber rutschte das zuvor offen demonstrierte Herz in die Hose und die deutsche Mannschaft schied aus. Und beendete damit die Nuller, wie zuvor seit dem Ende des 2. Weltkrieg nur in den Sechzigern beendet wurden:
Wieder kein Titel.