Die ruhmreiche Fußballkarriere des Martin S.

Der Kamke ist schuld. Ein Satz, mit dem viel mehr Blogbeiträge begonnen werden sollten. Nicht von mir natürlich, ich schreibe ja kaum noch welche. Es sei denn, der Kamke drängt mich dazu. Wie neulich auf Twitter, als es, wenn ich das recht erinnere, um Jugendfußballerfahrungen ging und ich eine halbgare Anekdote einwarf und der Kamke mich mit quasi erhobenem moralischen Zeigefinger bedrängelte, ich möge das doch bitte in einem Blogbeitrag verarbeiten. Was ihm natürlich nicht klar war, ist, dass ich keineswegs über sein exzellentes Gedächtnis verfüge und die wichtigen FaktenFaktenFakten allesamt vergessen habe. Und den Rest in der Zwischenzeit verklärt habe. Und somit nichts der Wahrheit entspricht, wie immer auch die ausgesehen haben mag. Was ich ja nicht mehr weiß. Weswegen es sich vielleicht doch genauso zugetragen haben mag.

Es begab sich vor ziemlich genau dreißig Jahren. Der Autor dieser Zeilen war offenbar gerade zwei, drei Monate zuvor sechzehn geworden und hatte bis dahin eine fußballerische Karriere hingelegt, die in ihrer Bedeutungslosigkeit ihresgleichen sucht. Sie beschränkte sich auf das Kicken mit den Nachbarjungs auf der ruhigen Straße, alle nicht viel besser als ich und somit ohne Lehrpotential, und Einsätzen während Klassenspielen. In einem schoss ich sogar mal zwei Tore, wer weiß, wie das geschehen konnte.
Vermutlich war das auch der Grund, dass ich “Sturm” antwortete, als ich gefragt wurde, wo denn meine Position sei, in jenem Moment, in dem der Traum wahr wurde und ich mittat in einem richtigen Fußballverein. Zuvor hatte Muttern ähnliche Wünsche immer abschlägig beschieden, aus der heutigen Reflektion heraus vermutlich, um mehr Individualität anzuerziehen (Das willst Du doch nur, weil das alle machen) und aus ihrer eigenen Affinität zur Leichtathletik heraus. Aber ich komme ins plaudern und dabei hat die eigene Anekdote noch nicht einmal angefangen.

Wie dem auch sei. Es erfolgte ein Umzug nach Norddeutschland in ein Nest, in dem alle Handball spielten. Vielleicht war das der Grund, dass meiner grandiosen Fußballkarriere nun nichts mehr im Wege stand und so wurde ich Mitglied beim ruhmreichen TuS Varel 09. Und sagte “Sturm”. Und war nicht gut. Eher Ersatzbankmaterial. Was ich bis heute nicht verstehe – also, dass ich wirklich nicht gut war, nicht dass es nicht für die erste Elf reichte – aber es ist durchaus möglich, dass mir das eine oder andere, was nötig gewesen wäre, um besser zu sein, erst spät, sehr spät zuwuchs. Auge, Ahnung, Spielverständnis, solche Dinge, Sie wissen schon. Sportlich war ich, Ballbehandlung war nicht toll, aber in Ordnung.
Was ganz sicher nicht gut war, war mein Torschuss, der ist auch nie besser geworden, jedenfalls nicht bis es mir vor ein paar Jahren beim Wiesenkick den Meniskus zerfetzte. Seitdem hab ich es nicht wieder ausprobiert, aber ich nehme an, es ist nicht besser geworden. Mir fehlte der Wumms, komplett. Klebe Fehlanzeige. Beste Voraussetzungen also für einen Stürmer.
Nun begab es sich, dass die Spieler um mich herum auch nicht gut waren. Besser als ich, größtenteils, aber nicht gut genug für die Liga. Die nämlich hatte die A-Jugend, in die ich kam, geerbt vom vorhergehenden, weitaus besseren Jahrgang. Um es mit ein paar Vielleicht-Fakten (siehe Exkurs weiter oben zum Thema Wahrheit) bebildern: Ich glaube, es war die Bezirks-Oberliga und ich glaube, es war die dritthöchste Spielklasse in der damaligen A-Jugend. Heute ist das alles anders sortiert, eine Junioren-Bundesliga z.B. gab es noch nicht. Glaube ich.

Vielleicht also hieß das alles ganz anders, das Einzugsgebiet der Gegner war jedenfalls groß. Von den um die Ecke liegenden Wilhelmshaven und Oldenburg (VfB und VfL) bis nach Stade und hinunter bis nach Georgsmarienhütte, zu TuRa Melle und, ich glaube, Eintracht Nordhorn. War nicht sogar die Mannschaft des VfL Osnabrücks dabei? Ich werde es vermutlich nie erfahren.
Das erste augenscheinliche Ergebnis dieser hohen Spielklasse und der damit verbundenen Gegner waren unchristliche Aufstehzeiten. Sonntägliche Treffen um Sechs. Morgens. Bitte versuchen Sie sich in die Zeit, in der Sie sechzehn, siebzehn waren, zurückzuversetzen, es dürfte Ihnen leichter fallen als mir, da es weniger weit weg ist: Es gibt in dem Alter wirklich besseres als Sonntags früh in der Kälte zu stehen und auf den Kleinbus zu warten, der Sie nach Jottwehdeh transportieren soll.

Vor allem dann, und damit kommen wir zum Kern der Sache (hier beginnt die eigentlich recht kurze Anekdote), wenn Sie einerseits sehr gute Chancen haben, den Tag auf der Ersatzbank zu verbringen und andererseits die Chancen, dass am Ende wenigstens ein Sieg herausspringt, ungleich kleiner ist. Sagen wir es wie es war: Wir begannen die Saison mit einer beispiellosen Niederlagenserie. Der Trainer wurde gewechselt, was kein Verlust war, der alte hatte wenig beibringen können. Der neue allerdings auch nicht. Die Niederlagenserie ging weiter. Der Trainer wurde noch mal gewechselt, der Winter kam, die Niederlagenserie hielt an. Kein Punkt, kein einziger. Die Rückrunde begann und alles wurde schlechter. Verglichen mit der Stimmung in der Mannschaft wäre ein Haifischbecken eine Wellnessoase. Sie können sich vorstellen, dass das vor allem zum unteren Ende der mannschaftlichen Hierarchie durchgereicht wurde. Ich winke an dieser Stelle, damit Sie sich ungefähr vorstellen können, wohin.
Die Niederlagenserie hielt. Wir wurden immer weniger, da der eine oder andere beschloss, besseres zu tun zu haben, als sich Sonntagsmittags die Hucke voll hauen zu lassen. Was gut war, denn es erhöhte meine Einsatzzeiten drastisch. Schlecht daran war, dass wir manchmal nur mit neun oder zehn Mann aufliefen. Gegnerische Trainer begannen wüst und in unflätigsten Tönen ihre Mannschaft zu beschimpfen, wenn sie das Gefühl hatten, wir könnten den schon kassierten sechs oder acht Toren vielleicht mal eins entgegen setzen. Was selten geschah. Ich beging ein böses ungeahndetes Revanchefoul, was aber eine andere, noch belanglosere Geschichte ist. Nur soviel: er hatte es verdient. Tore schoss ich keine. Aber ich hielt durch.

Die Niederlagenserie hielt auch durch. 0 Punkte, nach wie vor. Die Anzahl der Kisten Bier, die uns von den uns verhöhnenden erwachsenen Vereinsmitgliedern versprochen waren für den Fall, dass wir doch mal aus Versehen einen Punkt ergattern sollten, wuchs. In der Theorie. In der Praxis: Die Niederlagenserie hielt.
Ich gab auf. Ging nicht mehr hin. Spaß war schon lange nicht mehr gegeben. Nicht im Training, nicht in der Mannschaft, nicht im Spiel, aber ich hatte durchhalten wollen, nicht das Handtuch werfen. Was genau den Ausschlag gegeben hatte, weiß ich leider nicht mehr. Warum auch immer: ich gab auf, drei, vier, fünf Spieltage vor Schluss.

Das nächste Wochenende, das nächste Spiel kam, ohne mich, weder auf dem Spielfeld, noch auf der Ersatzbank.

Endergebnis: 1:1. Et voilà.

Ein, zwei Jahre später versuchte ich es nochmal, beim TuS Jaderberg in der 2. Herren, ich schoss sogar Tore, wir stiegen auf, es war nicht alles schlecht im Vereinsfußball. Bis ich im Vorbereitungsspiel zur neuen Saison an einem Tag mit weit über 30 Grad kotzen musste und der neue Trainer mich bepöbelte, warum ich meine Mannschaftskameraden so im Stich ließ. Dann war Schluss. Aber das ist eine andere Geschichte. Und diesmal dermaßen uninteressant, dass sogar der Kamke da nichts machen kann.