Eine Begegnung bei Rosi’s

[Was im Jahr zuvor geschah.]

Es ist gar nicht so einfach, ihn zu fassen zu kriegen, den Spielbeobachter, den Mann, der es schaffte, zwei Mal hintereinander im Finale des DasTunier™, des großen Fußballsturniers des tkschlands zu stehen.
Kein einziges Interview hat er den Medien gegeben seit jenem Moment, in dem sich alles änderte für ihn, seit jenem Moment, in dem der große Traum der Titelverteidigung seinen traurigen Tod starb, jenem Moment, in dem die Hoffnung seinen Fuß verließ und sich auf den neun Meter langen Weg machte, um nie da anzukommen, wo sie hin sollte. Untergetaucht sei er, so heißt es und in der Tat wir haben enorme Schwierigkeiten ihn aufzufinden. Die Schwester der Nachbarin des Schwippschwagers der Putzfrau eines ehemaligen Jugendfreundes ist es schließlich, die uns auf die richtige Fährte bringt und deren zu Dank wir eine Telefonnummer erhalten. Am anderen Ende meldet sich eine Stimme, unbekannt, männlich, ohne sich vorzustellen. Sie verrät uns, wo wir ihn finden. „Rosi’s Tränke“ heiße die Kneipe, am besten gehen wir schon vormittags hin, da „ist das mit dem Alkohol noch ganz in Ordnung, später wird es halt schwierig mit der Sprache, Sie verstehen schon“. Die Stimme legt auf, und wir machen uns auf den Weg.

„Bei Rosis“ ist nicht gerade die Haute-Couture der Gastronomie, an den Wänden hängen vergilbte Poster der Siegermannschaft des DasTunier™ 2015, aus der Jukebox läuft Moskau von Dschinghis Khan und in der Luft steht der dichte Qualm schlechter Zigaretten. Und tatsächlich, hinten am Ende des Tresens sitzt er, der Spielbeobachter, vor sich ein „Herrengedeck“, eine Molle und ein Korn, dem im Verlauf unseres Gesprächs noch mehrere folgen sollen.

Er ziert sich, als wir ihn ansprechen, man könnte auch sagen, er flucht und schimpft, aber nach langer Diskussion ist er schließlich bereit zu einem Interview.

Herr Spielbeobachter, es ist ja nicht so einfach Sie zu finden, schön, dass es doch noch geklappt hat.

Schön? Ich geb Dir gleich schön, Du Hans Wurst!

Äh. Doch, doch, wir finden das durchaus schön, schließlich haben Sie sich ja noch gar nicht geäußert zum diesjährigen DasTun..

Hasscup. Das Ding heißt Hasscup. Geh mir weg mit dieser Scheißkommerzialisierung. DasTunier, wenn ich das schon höre! Du hast als Kind bestimmt zu oft Zuckowski oder wie der Vogel heißt, gehört, dass Du auf so einen Scheiß reinfällst.

Wir atmen durch. Das wird noch zäher als gedacht.

Herr Spielbeobachter, es war ja von vorneherein klar, dass es schwierig werden würde mit dem erneuten Titelgewinn, es sind ja einige Stammkräfte weggebrochen und die Mannschaft musste fast völlig neu zusammengestellt werden.

Stammkräfte, Schmammkräfte. Das ist doch alles Kokolores, was Du hier erzählst, Junge. Klar, da waren einige nicht dabei vom letzten Jahr, der Collini hat lieber in der Sonne gesessen und der Reese hat sich verdünnisiert, und der Ralle war in Hollywood oder so, klar, die waren nicht da. Aber egal, wir hatten trotzdem gute Leute. Allein um den jungen Jayjay war es schade, der hätte uns Spaß gemacht…. Aber benutz doch auch mal Deinen Kopf, Junge, ein einziges Mal in Deinem unnützem Leben, da waren doch Topleute am Start. Pferdelunge Henry Senior, was der gerannt ist! Und hier, der Rebiger, anfangs jedenfalls. Und natürlich unsere beiden Nachwuchskräfte Tjark und Henry Junior. Was die gespielt haben! Bombenjungs!

Und natürlich der Kapitän.

Ah, ja, der große Kamke. Fantastisches Turnier gespielt. Torschützenkönig, MVP in jedem Spiel, selbst wenn wir gar nicht gespielt haben. Toll. Und der Teqqy, vergiß den mal nicht, Du Pfeife!

Es fing ja auch ganz gut an.

Ja, sicher. Gegen #Twerder. Dolles Spiel. Ich hab da ja sogar ein Tor gemacht. Als Verteidiger, ha! Lag halt am tollen Sololauf von Kamke vorher.

Fast wirkt er jetzt etwas aufgeräumt und die Angst, dass er uns gleich das leergetrunkene Schnapsglas um die Ohren wirft, schwindet das erste Mal.

Erst dachte ich ja, das war’s. Wenn man mit einem klaren 3:0 Sieg in das Turnier startet, dann kann einen ja eigentlich nichts mehr aufhalten. Aber so im Nachhinein muss ich sagen…. ich hab da schon gemerkt, dass ich körperlich nicht voll austrainiert war. Aber schreib das nicht, Du Flitzpiepe, sonst glauben die Leute noch, ich würde nach einer Entschuldigung suchen!

Dann kam die erste Begegnung mit #allesraushauen

Rosi! Ich brauch Nachschub!

Was soll ich sagen? Hat ja jeder gesehen, wie Rebiger vom Platz getreten wurde und die Herren in Gelb daneben standen und fröhlich “You never walk alone” vor sich hinpfiffen. Dass die direkte Folge der völlig unberechtigte Ausgleich war, hat auch jeder gesehen, ich mein, wie soll ich denn drei Stürmer aufhalten, alleine, wenn da zwei Meter entfernt der Rebiger liegt und vermutlich für den Rest seines Lebens nie wieder richtig laufen kann? Ich bin doch auch keine herzlose Maschine!

Der Korn kommt und verschwindet und mit offenbar bekannter Geste wird ein neuer bestellt.

Im Spiel zwischen #twerder und Rot-Weiß Fressen fiel dann ja das Tor des Turniers, das berühmte Hackentor des jungen Eschers. Stimmt das Gerücht eigentlich, wonach der Spieler schon so gut wie verpflichtet war für Ihre Mannschaft?

Was heißt denn „so gut wie“, Freundchen? Der war fest eingeplant. Der hatte unser Trikot ja schon an. Und dann wechselt der plötzlich. Und dann standen wir da, vor dem letzten entscheidenden Gruppenspiel, ohne Auswechselspieler. Escher abgeworben, Rebiger fast ins Grab getreten! Zum Glück konnten unsere Wundermanager dann ja einen neuen Spieler aus dem Hut zaubern. Den Heynoon. Guter Mann, wenn er auch wirklich abartige Vorlieben hat, aber gut, das gehört hier ja nicht hin. Mussten wir uns ja erstmal einspielen und das im wichtigsten Gruppenspiel. Ham wa dann ja auch gewonnen. Müssen wir wohl, sonst wären wir ja nicht ins Finale gekommen, auch wenn ich mich nicht mehr so gut erinnern kann. Der Zusammenstoß, alles schummrig, mir brummte der Schädel.

Die Schnäpse wechseln jetzt schneller die Tresenseite. Die Jukebox spielt „Die weißen Tauben sind müde“. Wir müssen auf das Finale kommen.

Es gibt ja Stimmen, die ob der überaus defensiven Grundhaltung Ihrer Mannschaft davon sprachen, dass das Finale vercoacht war.

Vercoacht? Wer schreibt denn so einen Müll? Vercoacht. Alter. Vercoacht ist das neue Schwarz, oder was? Wir waren müde, am Arsch waren wir. Am Arsch! Auf der anderen Seite diese ganzen vor Kraft strotzenden Jünglinge wie der mirkchief, der Bimbeshausen, der Lindenau mit seinem Bums oder der BauerJaM. Eppinghover, fritzelisches – das sind doch alles Jungs, die gerade erst anfangen zu rennen. Wir rennen schon unser ganzen Leben lang. Musste hingucken, verstehste das auch. Der Kamke, wer auch sonst, macht das 1:0 und dann lassen wir sie rennen. Brauchste keinen Matchplan, hat ja auch super funktioniert bis kurz vor Schluß…. Haste Henry Senior gesehen? Was der da hinten abgeräumt hat? Sagenhaft. Und die Jungschen, der Tjark und der Henry Junior? Gerannt sind die, bis zum Umfallen. War alles richtig. Bis zur allerletzten Minute, bis der BauerJaM da diesen Glückssonntagsschuß zwischen drei Spielern durch zimmert.

Ein tolles Tor.

Ein tolles Tor? Ein Kacktor war das. So.

Wir könnten jetzt auch einen Schnaps gebrauchen. Das Neunmeterschießen..

Der Spielbeobachter senkt den Blick und entdeckt am Grunde seines Bierglases offenbar Interessantes. Wir warten. Jetzt bloß nichts falsches sagen.

Haste gesehen, wie der Kamke den reingezimmert hat? Weltklasse!

Haben wir, die Wiederholungen liefen ja tagelang auf allen Kanälen. Wir schweigen trotzdem lieber. Dann endlich:

War halt scheiße geschossen. Zuckt mit den Schultern, zündet sich eine Zigarette an und starrt Rosi an. Ich mein, wie sie jetzt alle den FCBlogin abfeiern, ich lach mich tot. Die Katze von Eimsbüttel oder was? Ich mein, klar, der hat das ganze Turnier über sehr gut gehalten, aber wenn er den nicht hält, hätte er gleich Eckfahne werden können. Eckfahne, verstehste? Den hätte ja sogar ich gehalten und zwar nachdem ich ihn geschossen hab.

Stört es Sie, dass alle Welt nur über Ihren verschossenen Neunmeter sprach, nur weil es der entscheidende war, obwohl insgesamt sechs von neun verschossen wurden?

Du Blendgranate! Das ist doch völlig Wurst, wie viele Neunmeter jemand verschießt, solange noch einer danach kommt, der ihn reinmacht. Der kam halt nicht. Und das war ich. Einfaches Einmaleins. In der Schule wohl lieber Deinem Hamster die Nägel lackiert, wa?

Sind die Gerüchte, dass Sie Ihre Fußballschuhe jetzt an den Nagel hängen und im kommenden Jahr nicht versuchen werden, den Titel zurückzuerobern, denn wahr?

Es folgt ein langer Blick und ein längeres Schweigen. Ein Schulterzucken, dann werden die Gläser geleert, auf den Tresen gestellt und Geld daneben gelegt. Er steht auf, winkt Rosi, klopft uns im Vorbeigehen auf die Schultern und schreitet mit leicht torkelndem Schritt hinaus.

Wir gehen hinter ihm her, sehen ihn von dannen schlurfen. Zwei Jungs mit Ball unter dem Arm, deren Weg er passiert, drehen sich zu ihm um und blicken sich an und fragen einander: „War das der Mars?“

[Anmerkung der Redaktion: Leider stand Herr Spielbeobachter für eine Autorisierung des Interviews nicht zur Verfügung. Wir haben ihn nicht erreicht.]


Foto: Teilzeitborussin