Vom Brechen einer uruguayischen Lanze

Die von Enttäuschung geprägte Empörung aller, die der Mannschaft aus Ghana die Daumen drückten, war groß: Viel zu gering sei die Strafe für Luis Suarez für dessen Handspiel in der 121. Minute. Das ist natürlich auf vielerlei Ebenen kompletter Unsinn: Thorsten Frings Faustschlag nach dem Viertelfinale 2006 wurde ebenfalls nur mit einem Spiel Sperre belegt, David Villas Ohrfeige im Vorrundenspiel dieser WM gegen Honduras wurde gar nicht geahndet. Elfmeter und Rote Karte ist die härteste Strafe, die es in einem Fußballspiel geben kann. Härter wäre nur noch die Schenkung eines Tores für den Gegner, und gottlob, solche Strafen gibt es im Fußball nicht. Dass Gyan den fälligen Strafstoß für Ghana nicht verwandelte, war gewiß tragisch – ich hätte es Ghana durchaus ebenfalls gegönnt, diese erste afrikanische Weltmeisterschaft durch einen erstmaligen Einzug einer afrikanischen Mannschaft in ein WM Halbfinale zu krönen – aber eben, je nach Gusto, Pech oder Unvermögen.

Nun steht also Uruguay im Halbfinale gegen die Niederlande und die allgemeine Stimmung richtet sich gegen die Celeste. Was, wie ich finde, ziemlich unverständlich ist. In ihrer erfolgreichsten Weltmeisterschaft seit 1970 haben die Uruguayos nur zwei Gegentreffer kassiert, haben immerhin sieben Tore geschossen – davon ein Elfmeter – (im Vergleich: Ghana mußte drei Gegentreffer hinnehmen und schoß insgesamt fünf Tore, davon waren zwei Elfmeter) und spielte äußerst ehrenhaft gegen Mexiko auf Sieg im letzten Gruppenspiel, als beiden ein Unentschieden gereicht hätte, um weiter zu kommen.

Natürlich: Der grandioseste Fußball ist es nicht, den die Südamerikaner vom Rio de la Plata spielen – aber bitte schön, das Land hat weniger Einwohner als Berlin und die ruhmreiche Vergangenheit ist vor allem das: Vergangenheit, ewig weit zurückliegend. Nichts jedenfalls aus dem sich heute noch eine spielerische Tradition entwickeln könnte.
Natürlich: Der Weg in dieses Halbfinale war relativ einfach. Jedenfalls auf dem Papier. Südkorea und Ghana lesen sich anders als, im deutschen Fall, England und Argentinien oder, im niederländischen Fall, Brasilien. Aber der “einfache Weg” hat doch z.B. 2002 auch niemanden daran gehindert, Deutschland die Daumen zu drücken.

Uruguay steht verdient heute abend im Halbfinale. Gewiß: Das Handspiel Suarez’ wird immer ein kleiner Makel sein. Aber Ghana hatte es selbst in der Hand und hat es vermasselt. Und Suarez, mit seinen drei Treffern erfolgreichster Torschütze der Uruguayos, wird bitterlich fehlen.

11 Antworten auf „Vom Brechen einer uruguayischen Lanze“

  1. Die Mannschaft hat guten Fußball gespielt und ist verdient im Halbfinale. Punkt.
    Unerträglich fand ich aber, wie Suárez im Spielertunnel gejubelt hat bzw. dass er nach dem Spiel angeblich durch’s Stadion getragen wurde. Einen so offensichtlichen Betrug auch noch offensiv zu feiern, ist mir sehr unsympathisch. Von Suárez’ schon in vorherigen Spielen gezeigten Versuchen Elfer zu schinden ganz abgesehen.
    Das ist alles sehr schade, denn vorher fand ich die restliche Mannschaft recht ansprechend. Jetzt will ich aber nur noch, dass sie rausfliegen.
    Und ich hätte ebenso wie bei Villa für zwei Spiele Sperre plädiert.

    1. Hmm. Von einem Spieler zu verlangen, dass er nicht jubeln möge, bzw. es sich äußerlich nicht anmerken lassen darf, dass er sich darüber freut, dass seine Mannschaft NICHT in der 121. Minute durch den von ihm verschuldeten Elfmeter aus einer Weltmeisterschaft geflogen ist, sondern stattdessen im Elfmeterschießen die Chance hat, erstmals seit 40 Jahren wieder in ein Halbfinale einzuziehen – das finde ich nicht nur extrem viel verlangt, sondern geradezu unmenschlich. Fairplay hin oder her.

  2. Dass das kompletter Unsinn ist, ist natürlich völliger Quatsch Regeln, auch Fußballregeln, sind in der Regel nicht in Stein gemeißelt. Und man darf schon überlegen, ob eine Strafe angemessen ist, die der Straftäter so bereitwillig in Kauf nimmt, weil sie ihm möglicherweise als das kleinere Übel erscheint. Insofern ist das mit dem kompletten Unsinn kompletter Unsinn.

    Über eine längere Strafe als nur ein Spiel Sperre für den Täter darf man also selbstverständlich nachdenken, sollte man vielleicht sogar. Auch, ohne sich dafür als Romantiker, weltfremd, parteiisch oder auch nur als unwissend beschimpfen lassen zu müssen.

    1. Natürlich könnte man über eine längere Sperre bei absichtlichem Handspiel (wobei ich ja bei solchen Szenen immer auch einen – natürlich genauso strafbaren – Reflex für möglich halte) nachdenken. Insofern hast Du recht.
      Aber richtig ist auch, dass – was die direkte Situation in jenem Spiel angeht – Uruguay die härteste Strafe bekommen hat, die es in einem Fußballspiel gibt und eine längere Sperre nicht in den Strafen- und Sperrenkontext der FIFA passen würde.
      Und, ohne Dir das jetzt unterstellen zu wollen, aber eben anderen Äußerungen nach dem Spiel, ein Handspiel, dass in der 121. Minute ein Tor für den “sympathischen Exoten” und somit dessen sensationellen Einzug in ein Halbfinale verhindert, darf nicht härter bestraft werden als, sagenwirmal, ein Handspiel, dass ein Tor für einen unsympathischen Favoriten in einem Gruppenspiel verhindert.
      Die Regeln dürfen sich nicht nach Symapthie und Brisanz der Turniersituation richten.

    2. Verstehe ich nicht. Ich mache mein Urteil über die Strafe doch nicht davon abhängig, wer sie bekommt. Hätte ein Ghanaer in ähnlicher Situation ähnlich gehandelt, schriebe ich das gleiche. Wer unsportlich handelt, gehört angemessen bestraft, egal, ob er sympathisch ist oder nicht. Diese Strafe aber begünstigt den Betrug, weil sie unverhältnismäßig ist und eben nicht abschreckt.

      Auch deine Behauptung, dass eine andere, z.B. längere Strafe nicht in den Kontext der Fußballregeln passt, ist nicht haltbar. Für unsportliches Verhalten, für Fouls etc. kann man schon jetzt länger bestraft werden. Und selbst wenn das die Regeln aktuell so noch nicht hergäben, müsste man sie halt ggf. ändern. Sehe nicht, warum es da ein Denkverbot geben sollte.

      Für mich ist Suarez ein Betrüger und ich könnte mich, wäre ich Uruguayer, nicht mehr so richtig über das Weiterkommen freuen. Um jeden Preis beim Sport weiterkommen, auch durch Betrug? Durch ein so offensichtlich absichtliches Handspiel? Wo ist die Grenze? Wieviel Betrug darf’s denn sein, bevor man erkennt, dass man damit dem Sport schadet?

      Nein, danke. Ein paar längere Überlegungen zum Thema macht sich übrigens Oliver Sparrow auf A World Cup Report. Überlegungen, die ich deutlich mehr als deine teile.

      Ich habe auch keinen Bock darauf, ab sofort bei jeder brenzligen Situation Feldspieler als Ersatztorhüter auf der Linie zu sehen, die dann später sogar noch als Nationalhelden gefeiert werden. Ganz ehrlich: das widert mich an.

    3. @probek
      Schöner Text, fasst es im Grunde alles zusammen.
      “The most annoying thing is that people don’t understand the entirely basic point that he benefited by breaking the rules”, schrieb @Zonal_Marking dazu. Exactly.

    4. @ probek:
      Da haben wir uns missverstanden: Natürlich muss die Strafe unabhängig davon sein, wer die Regeln bricht.

      Sie muss aber auch davon unabhängig sein, ob der Regelbruch in der 121. Minute passiert, ob der Regelbruch zum Aussscheiden der Ghanaer führt und ob der Regelbruch ein Spiel entscheidet, weil er eben in der letzten Minute passiert.

      Um es mal drastisch nachzumalen: Wenn ein Uruguayo in 121. Minute im Viertelfinale auf der Linie stehend mit der Hand ein Tor der Ghanaer verhindert, und diese den fälligen Elfmeter verschießen, und er damit den Halbfinaleinzug Ghanas verhindert;

      so muss dies die selbe Strafe nach sich ziehen, wie

      wenn ein Nordkoreaner in der sagenwirmal 29. Minute auf der Linie stehend mit der Hand ein Tor der Brasilianer verhindert, die zu dem Zeitpunkt schon sagenwirmal 3:0 führen.

      Wenn wir nämlich ein und denselben Regelbruch aufgrund der Spiel- oder Turniersituation strenger oder weniger streng verurteilen, so wird es äußerst unübersichtlich und nicht mehr nach klaren Richtlinien zu messen.

      Natürlich hast Du recht, das FIFA Regelwerk sieht auch längere Sperren vor, da habe ich mich möglicherweise unklar ausgedrückt. Gemeint war, dass (meines Wissen, ich habe nicht nach gesehen) keine rote Karte bei dieser WM eine längere Sperre nach sich gezogen hat. Daran gemessen, ich denke da zum Beispiel an die rote Karte für Melo, denke ich nicht, dass eine höhere Strafe für Suarez gerechtfertigt wäre.

      Danke für den Link, ich werde ihn mir morgen zu Gemüte führen.

    5. Mir geht es auch nicht allein um die Abschreckung durch eine stärkere Strafe und dadurch um einen besseren Schutz vor der Wiederholungstat. Mir geht es auch um eine gesellschaftliche Ächtung dieses Vorgangs. Ich möchte eben nicht nur, dass eine so ein offensichtliche Unsportlichkeit adäquat bestraft wird. Sondern auch, dass ein Spieler weiß, dass er damit bei vielen unten durch ist, egal, ob es nun im Regelbuch eine genau aufgelistete Strafe für diese Unsportlichkeit gibt.

      Dass das offensichtlich viele anders sehen (vielleicht sogar die Mehrheit), viele die Aktion clever finden, ähnlich gemacht hätten und gar nicht begreifen, wie sehr es dem Sport schaden kann, stimmt mich nachdenklich und traurig. Wie Sparrow schreibt: “I personally am fed up with gamesmanship in football. It is the one thing that really puts me off watching the game.”

  3. Natürlich muss die Strafe unabhängig vom Gegner sein, keine Frage.

    Trotzdem war es eine so eklatante, offensichtliche Unsportlichkeit, dass sie m.E. eine längere Sperre gerechtfertigt hätte. Und ja: Gyan hätte das Ding reinmachen können, dann wäre alles klar gewesen. Das wäre es aber eben auch gewesen, wenn Suárez den Ball nicht regelwidrig mit der Hand auf der Torlinie gestoppt hätte.

    Zum Jubel: Suárez wirkte zumindest auf mich nicht erleichtert, sondern eher so “Cool, ich bin damit durchgekommen!”, was ja auch mit seinem unerträglichen Hand-Gottes- und Beste-Parade-des-Turniers-Geschwafel zusammenpasst. Und eben auch mit seinen vorherigen Auftritten.

    Ich war bis zum Handspiel in meiner Sympathie durchaus unentschieden (irgendwie sind ja auch die Uruguayos in dieser Turnierphase Underdogs), insofern geht’s mir nur um diese Aktion.

    1. Uruguay hat sich gegen Ghana absolut unsportlich verhalten. Um so herrlicher die folgende Gerechtigkeit. Uruguay schöpfte Hoffnung auf einen Ausgleich am Ende gegen die Niederlande und scheiterte 2:3, und heute die endgültige Wiedergutmachung. Wie Ghana hatte Uruguay in der letzten Sekunde die Chance, im Spiel zu bleiben und der mir sehr unsympathische Furlan haut schön den Ball gegen die Latte wie Gyan von Ghana beim Elfmeter. Schade, schade:) Da habe ich mich richtig gefreut, wie auch über die Buh-Rufe gegen Suarez. Es holt Dich im Leben auch die kleinste Sünde wieder ein. Gut so!

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