Gastbeitrag: Von den Studenten, die auszogen, das Siegen zu lernen

Aus gegebenen Anlaß übergebe ich heute das Wort an Sasha:

Wer dieses wunderfeine Blog desöfteren genießt wird nicht umhin gekommen sein zu bemerken, dass die Sympathien hier uneingeschränkt den zwei edelsten rot-weißen Vereinen in Deutschland zugeteilt sind. Huldigung und Zuneigung werden nur durch eine Farbe ergänzt, und zwar das gottgleiche Celeste Argentiniens. Dem aufmerksamen Leser dieses Blogs wird ebenso nicht entgangen sein, woher diese Leidenschaft stammt. Vor viel zu langer Zeit unternahmen der Spielbeobachter und ich eine Reise nach Argentinien und kamen vollends gauchoisiert wieder zurück. Nach etlichen Monaten hatten wir zahlreiche Erfahrungen und Erkenntnisse angesammelt und brannten darauf diese den armen Ungläubigen zu offenbaren. So war nun endlich die nervenaufreibende Frage nach dem besten Fußballer aller Zeiten geklärt sowie die ernüchternde Gewissheit erlangt, dass jedes Rindfleisch außerhalb Argentiniens wie Pappe schmeckt.

Selbstredend hatten wir auch jeweils einen Fußballverein für uns entdeckt. Meine Wahl fiel auf Estudiantes La Plata. Und da eben jener Club in der heutigen Nacht furios den Copa Libertadores eroberte, darf ich mich heute hier als Gastredner austoben und dem verehrten Publikum erklären, wie diese Leidenschaft entbrannte.


Morgens um halb fünf in Deutschland: Links geht die Sonne auf, rechts bereiten sich via Stream die Hinchas von Estudiantes aufs Feiern vor.

Groundhopping und das intensive Anbahnen von Vereinsliebschaften auf Reisen in fernen Ländern ist nicht jedermanns Sache. Viele verweigern sich dieser Promiskuität und beschränken sich in ihrer Leidenschaft auf den einen und einzigen Verein. Dies sei ihnen gegönnt. In meinem Fall ist dies nicht so. Die Entdeckung fremder Länder verläuft nicht nur diagonal durch deren Küchen und Kneipen sondern eben auch durch deren Stadien. Dies hat zudem auch noch den Vorteil, dass man entgegen der „Wahl“ des ersten Herzensvereins, die zumeist eine eher willkürliche und unbewusste ist, hier mit objektiven Kriterien herangehen kann und den Club, der am besten zu einem passt, erwählen kann.

Die erste Adresse war für uns beide schon Sekundenbruchteile nach der Wahl des Reiselands klar – Union de Santa Fé! Dieser sympathisch verlotterte Zweitligist musste zweifellos beehrt werden und das wurde er auch. Noch heute verfolgen wir in sporadischen Abständen die Entwicklungen unserer ersten Begegnung mit Fußball auf dem argentinischen Kontinent. Doch wir wollten mehr. So schäbig das jetzt klingen mag: Ein Erstligist musste her. Senor Spielbeobachter ließ sich nicht lange bitten und machte umgehend eine elegante Punktlandung bei Independiente. Diese, durchaus respektable, Wahl ließ in mir die Nervosität wachsen. Natürlich konnte ich ihm nicht einfach hinterherwatscheln. Ich wollte meinen eigenen Weg finden und graste daher verzweifelt die möglichen Clubs nach Übereinstimmungen mit meiner Person ab.

Schließlich fiel mein Blick auf die Studenten aus La Plata. Meine Sympathie mit diesen rotweißen Vorstadtkickern mag auf den ersten Blick banal erscheinen. Eine Mannschaft, die sich „Estudiantes“ nennt, gewinnt tatsächlich im Jahr globaler Studentenrevolten 1968 den Weltpokal – das hatte was! Erstes Interesse war geweckt, ich begann zu justieren. “La Pincharrata”, wie der Spitzname der Studenten auch ist (kommt von der berühmten medizinische Fakultät der Uni La Plata, dessen Studenten dafür berüchtigt sind, besonders gerne Ratten aufzuspießen) befindet sich irgendwo im tristen Grenzbereich der Diskussion um die Großen Fünf oder auch Sechs. River, Boca, Independiente und San Lorenzo sind hier unbestritten dabei. Ob aber nun daneben noch Racing, Velez oder eben Estudiantes in den argentinischen Fußballolymp gehören, darum ranken sich endlose Debatten und Streitereien. (Nach dem Gewinn des vierten Copas, umsäumt von einem Weltpokal und vier Meisterschaften erübrigt sich in meinen Augen diese unsägliche Kleingeisterei!)

Große Teile der legendenumwogten Geschichte der Estudiantes entdeckte ich erst nach und nach. Dabei bin ich weit entfernt diese gewaltreichen Episoden der Vereinsgeschichte gutzuheißen, doch sie verliehen den Studenten Konturen und wirkten gegen das graue Bild eines mittelmäßig erfolgreichen Vereins, der seine besten Zeiten hinter sich hatte. Dieser Club hatte Geschichte gemacht, wenn auch nicht im positiven Sinne, aber er stellte etwas dar. Auch die Spuren der beiden Verons, die mit Estudiantes eng verbunden waren, trugen dazu bei, mir diesen Verein immer sympathischer zu machen. War ich doch schon vorher ein glühender Anhänger von Veron gewesen, dessen Spiel mich stets begeistert hatte, wenn ihm auch die großen Erfolge verwehrt blieben. Und so wuchs und gedieh meine Zuneigung. Sollten sie doch alle mit ihren vor Tradition berstenden Hauptstadtvereinen posen – ich hatte meine fußballerische Heimat in Argentinien gefunden.

Die letzten Jahre gaben mir dann aber auch noch hinsichtlich des Erfolgs Recht. Hätte selbst ich im Jahre 2003 nicht mit einem Titel für Estudiantes gerechnet und mich demütig auf einen baldigen Erfolg des Pokalkrösus’ Independiente eingestellt, konnte ich bar vor Staunen 2006 den Gewinn der argentinischen Meisterschaft feiern. Mein Ein-Mann-Auto-Korso (ohne Auto aber mit argentinischer Flagge!) durch den Friedrichshain wird für alle Zeiten in den Annalen dieses Bezirks bleiben. Nur wenige Jahre später sitze ich nun hier, immer noch reichlich übernächtigt und kann es immer noch nicht fassen – die Copa nach 39 Jahren! Ein erfülltes Fußballleben liegt hinter mir, doch außer ein paar tollen Aufstiegen und schon längst vergilbten Erinnerungen an längst vergangene Oberligameisterschaften habe ich nicht sonderlich viele Titel als Fan ansammeln dürfen. Und nun das. Obwohl ich mich vielleicht ein wenig überfordert fühle, kann ich nicht behaupten, dass es sich schlecht anfühlt.

2 Antworten auf „Gastbeitrag: Von den Studenten, die auszogen, das Siegen zu lernen“

    1. summa cum copa Ganz toll! Pass nur auf, dass du vom Staub wegpusten und Spinnweben wegwischen von all deinen schicken Pokalen nicht ganz wirr im Kopf wirst. Wann bequemt sich denn der vielgerühmte “Rey del Copas” mal wieder in die Nähe eines internationalen Finales?! Ich warte voller Ungeduld. Bis dahin – Ehre, wem Ehre gebührt!

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