Cui Bono?

Seit Wochen und Monaten spülen immer wieder die gleichen Schlagworte über uns hinweg. Glaubt man Innenministern, der Gewerkschaft der Polizei, der DFL und den Medien ist der Besuch eines Fußballspiels eine hochgefährliche Sache, quasi das gefährlichste was man so tun kann in Deutschland, und das leider erst seit kurzem. Früher jedenfalls war alles friedlich, oder wenigstens deutlich friedlicher – die immer wieder beschworene “Eskalation der Gewalt” legt dies nicht nur nahe, nein, sie lässt keinen anderen Schluss zu.

Und das obwohl wir wissen – wie jeder, der sich informiert oder eigene Erfahrungen gemacht hat – das all das nicht stimmt. Der viel zitierte Besuch eines Volksfestes ist gefährlicher, sich von A nach B zu bewegen, mit einem Auto, einem Fahrrad oder zu Fuß, ist gefährlicher. (Hier gibt es ein paar Zahlen – nur eine sei hier zitiert: An jedem Tag des Oktoberfestes gibt es fast so viel Verletzte wie in einer gesamten Saison in allen Stadien der ersten und zweiten Liga). Wer wie ich den Bundesligafußball der frühen und mittleren Achtziger erlebt hat, weiß, dass die Situation heute eine ganz andere ist, dass die seinerzeit vorherrschende Hooligankultur mit rechtsextremen Wurzeln, die die bundesdeutschen Kurven regierte, ein weitaus größeres und immer wieder ausgelebtes Gewaltpotential inne hatte.

Wie kann es also sein, dass trotzdem immer wieder von den oben genannten Quellen Gegenteiliges behauptet wird – und das ohne eine einzige statistische oder empirische Unterstützung? Die Antwort muss für jede einzelne Gruppe beantwortet werden und das beste Instrument, wie immer in solchen Fällen, ist das Cicerosche Cui Bono – Wem zum Vorteil?

Die Innenminister
Innenminister Friedrich und andere Hardliner wie Mecklenburgs Innenminister Caffier gefallen sich besonders gut darin, das Abbrennen von illegalen bengalischen Feuern als Gewalt zu bezeichnen. Wie Menschen Innenminister werden konnten, obwohl sie nachweislich Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben, ist eine Frage, die ich beim besten Willen nicht beantworten kann. Warum die Herren aber plötzlich dieses Thema so für sich entdecken, liegt auf der Hand: Der deutsche Linksextremismus gibt sich recht friedlich zur Zeit, dem Rechtsextremismus möchte man nicht zu sehr auf die Füße treten, da man nicht weiß, ob man da einem Rechtsextremisten, einem Mitarbeiter der eigenen Behörde oder beidem auf die braunen Zehen tritt und die Taliban sind auch verdammt weit weg. Woher also nehmen, die Gefahr, die ein Innenminister braucht wie die Luft zum Atmen? Aah: Fußballfans. Der moderne Fußball mit seinen vielen Millionen hat eine Lobby, sicherlich, die Jungs und Mädels da hinter dem Zaun eher nicht. Da lässt es sich doch vortrefflich eskalieren, verbal gesehen. Man muss es nur oft genug sagen.

Die Gewerkschaft der Polizei
Dass Polizei und Fußballfans Freunde werden, ist eher nicht zu erwarten. Und so überrascht es auch nicht, dass die GdP freudig erregt auf den Diffamationszug aufspringt. Und tatsächlich, ihnen könnte man die Sache noch am ehesten nachsehen, stehen sie doch da, wo es weh tun könnte, ihnen oder dem Gegenüber, den Fans. Dumm nur, dass die gewollte Konfliktschürung seitens der Partners in Crime der GdP dafür sorgen wird, dass die Gewalt tatsächlich eskaliert – ein Bärendienst, den die GdP da also ihren Mitgliedern aufbindet. Aber hej, hübsche neue Videotechniken und Drohnen und Schlagstöcke und verbessertes Reizgas und und und kann auch die Polizei nicht einfach so bestellen. Da braucht es schon einen Grund. Marodierende und ganze Städte in Schutt und Asche legende Fußballfans zum Beispiel.

Die DFL
Auch wenn die Hoffnung besteht, dass mit Andreas Rettig ein wenig Vernunft in die Chefetage der DFL einzieht, so hat sie doch bislang kein gutes Bild abgegeben. Sicher, ein Vertreter der Fans und der Zuschauer war die DFL, oder früher der DFB, nie. Die Geschäftsinteressen der Liga, und damit insbesondere der großen Vereine, waren immer oberste Priorität und mit Kunden kuschelt es sich eben schlechter als mit Vereinsmitgliedern, die ein berechtigtes Interesse daran haben, gehört zu werden. Und England macht es ja vor, dass es geht: Stimmung tot, Sitzplatzpreise ins Uferlose getrieben, Stadien trotzdem voll. Das dadurch entstehende finanzielle Plus ist das Ziel der DFL, anders kann man es nicht verstehen. Ob das englische Modell funktionieren kann ohne die andere Seite der Medaille – der Verkauf der Klubs an globale Multimilliardäre, die mit ihrem Geld wiederum globale Multimillionäre auf den Rasen holen – darf bezweifelt werden. Aber egal, probieren kann man es ja mal, Money makes the world go round und das Runde muss in den Geldbeutel.

Die Medien
Ja, nun. Einerseits liegen die Beweggründe dermaßen auf der Hand, dass sich die Frage nach dem Nutzen beinahe erübrigt: Sensation ist Teil des journalistischen Geschäfts, das treibt mitunter furchtbare Blüten, ist aber kaum zu verhindern. Andererseits aber sind die journalistischen Abgründe in diesem Fall so tief, dass man gar nicht glauben mag, wer sich da alles unbedingt selbst disqualifizieren möchte. Die schon erwähnte permanent formulierte “Eskalation der Gewalt”, die niemand bislang nachweisen mochte – was doch eigentlich zum 1 mal 1 des Berufs eines Journalisten gehört – die Maischbergschen “Taliban”, die “schlimmsten Ausschreitungen aller Zeiten”, von denen der Spiegel neulich zu berichten wusste (Eigentlich erwartet man ja ein “!!!11einself” hinter dem Ausdruck) – die Vertreter des unseriösen Journalismus überwiegen ihre seriös arbeitenden Kollegen bei weitem und beschränken sich keineswegs auf die Bild-Zeitung, von der man nichts anderes erwartet. Es muss leider die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der ökonomische Druck das journalistische Geschäft mittlerweile so stark im Griff hat, dass Qualität kaum noch eine Rolle spielt.

All dies könnte Otto Normalnichtodergelegenheitsfussballfan ja eigentlich herzlich egal sein und meinen Beobachtungen nach ist es das auch. Die Crux bei der Sache ist nur die, dass die tatsächlich stattfindende Eskalation des Konflikts von oben keineswegs spurlos an unserem Rechtsstaat vorbeigehen wird, da sich viele der vorgeschlagenen oder bereits vorangetriebenen Instrumente kaum mit unserem Rechtsverständnis decken. Noch nicht jedenfalls. Präventiv- und Kollektivstrafen, die per Gießkanne ausgekippt werden und bei denen die Schuld des Bestraften nur noch ein zu vernachlässigender Nebenfaktor ist; Schnellgerichte, die gar nicht in der Lage sind, rechtsstaatlich sauber zu arbeiten; Gesichts- und/oder Ganzkörperscanner, die jeglichen Datenschutz und das Prinzip von Privatsphäre ad absurdum führen – nichts weniger als der Abbau des Rechtsstaates, betrieben von Elementen, deren Denke den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlassen hat, ist das Ziel der Übung.

Und nun ja, wenn sich Otto Normalnichtodergelegenheitsfussballfan dann versehentlich mal in einem Kino aufhält, in dem eine Reihe vor ihm jemand unerlaubter Weise eine Zigarette raucht, und er daraufhin von einem Schnellgericht zu fünf Jahren deutschlandweitem Kinoverbot belegt wird, denkt er vielleicht auch noch mal nach.