Jenseits des Dnjestr. Ein Fußballreisebericht fast ohne Fußball.

„Aus Deutschland?“
Ganz offenbar sind meine Russischkenntnisse mangelhaft genug, dass mein Ausländerstatus sofort erkannt wird. Kaum verwunderlich, bestehen sie doch nur aus knapp zehn Worten.
Ich nicke, verwirrt. Nicht nur aufgrund des schnellen Erkennens, sondern besonders aufgrund der Tatsache, dass die Nachbarin des Marktstandes, an dem ich gerade einkaufe, ihre Worte auf Deutsch an mich richtet.
„Korrespondent?“
„Tourist“
„Kommunismus angucken?“ Sie lacht.
„Auch. Und Fußball.“ Jetzt guckt sie verwirrt.

Wir befinden uns in Transnistrien. Oder, wie die einheimische Bevölkerung sagt, in Приднестро́вье / Pridnestrowje. Wir, das ist eine Reisegruppe befreundeter Unioner, die seit 2007 alle zwei Jahre durch Europa fährt, um an einem obskuren Ort Fußball zu sehen. Und um zu reisen. Uns Groundhopper zu nennen, würde diese Art von Fußballanhängern allerdings beleidigen. Wir sind eine potentiell elfköpfige Gruppe, da sind Terminfindung für bis zu zehn Tage Urlaub wichtiger als Spielansetzungen. Die Ziele werden auch nicht nach fußballerischen Gesichtspunkten ausgewählt. Und die Reiseart (Flugzeug nur wenn nötig und wenn, dann nur auf dem Rückweg) tut ihr übriges. So wird dann die Zahl der tatsächlich sehbaren Spiele zu einer Risikowette, welche in diesem Fall leider eher negativ ausging. Soll heißen: Warnung! Dieser Blogbeitrag enthält wenig kaum Fußball.

Nach Belarus, Belgien, Belgrad und Belfast gingen uns die Ziele, die durch die erdachte Zielfindungsnamensregel erkoren wurden, aus. Eine neue musste her, et voilà: Tiraspol in Transnistrien. Auf der Obskuritätsskala ziemlich weit oben. Ob des unfassbaren Bildungsstandes meiner Leser brauche ich dazu eigentlich nicht viele Worte über das Ziel zu verlieren, da ich aber nicht viel über Fußball schreiben kann, mache ich es trotzdem. Transnistrien liegt östlich von Moldawien, also direkt neben der Ukraine. Und hier begegnen wir dem ersten Obskuritätslevel: Je nachdem, wen man fragt, ist Transnistrien keineswegs ein eigenständiges Land, sondern Teil Moldawiens. Genau genommen antworten offiziell alle so. Außer Abchasien und Südossietien, Länder also, die ebenfalls von niemandem anerkannt werden. Selbst Russland erkennt die Pridnestrowische Moldauische Republik, so der offizielle Titel, theoretisch nicht an, auch wenn es sich anders verhält und davon auch profitiert. Dazu später mehr.
Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion jedenfalls erstarkten in Moldawien ethnisch-nationalistische Kräfte, die gen Rumänien strebten und Politik gegen russische Ethnien sowie die russische Sprache betrieben. Beides zu Hause östlich des Dnjestr, also in Transnistrien. Es kommt zu einer Unabhängigkeitsbewegung von der Unabhängigkeitsbewegung und zu einem bewaffneten Konflikt zwischen 1990 und 1992 und endet vorläufig in einem Einfrieren des Konfliktes und einer De-facto-Unabhängigkeit unseres Ziellands. Dieses trägt Hammer-und-Sichel noch in der Fahne und im Wappen und eine ungetrübte Liebe zu Russland zur Schau, nicht nur offiziell sind russische Fahnen keine Seltenheit, auch die Bevölkerung zeigt sie oft.
Im Land stehen laut Wikipedia 1200-1400 russische Soldaten, was in Zeiten des Ukrainekonfliktes zu Spannungen mit dem Nachbarland führt. Auch finanziell unterstützt Moskau das Land, in dem es allerdings einen allumfassenden Konzern gibt, dessen Verflechtungen mit dem „Staat“ nicht immer transparent sind. Sheriff heißt er, und der geübte Fußballfan, so er denn noch nicht entnervt aufgehört hat zu lesen, erkennt hier einen ersten zarten Hinweis auf Fußball. Denn nicht nur Supermärkte, Tankstellen, Bauunternehmen, Spirituosenfabriken, Bäckereien, ein Fernsehsender sowie das transnistrische Mobilfunknetz gehören Sheriff, sondern auch der beste moldawische Fußballverein.

Aber, so leid es mir tut, vor den Fußball hat der Reisegott die Anreise gesetzt, weitere Geduld ist gefordert. Nach dem Zug nach Warschau steigen wir nämlich in den ersten Nachtreisezug, der uns nach Kiev bringt. Zehn Stunden Aufenthalt haben wir dort. Perfekt für einen Rundgang durch die wunderschöne Stadt, ausreichend um eine grobe Anmutung davon zu bekommen, in welcher Stimmung sich die Stadt rund um den umkämpften Maidan befindet. Die gute Nachricht: Auf diesen natürlich reichlich oberflächlichen Eindruck hin macht die Hauptstadt der Ukraine einen äußerst friedlichen Eindruck. Die schlechte: Neben den vielen blau-gelben Farben, die überall zu sehen sind, sind auch die rot-schwarzen des Prawji Sektor, des Rechten Sektors, wahrlich keine Seltenheit. Gezeigt von Menschen, die uns im Gespräch erzählen, sie wunderten sich darüber, dass es nicht noch mehr Unterstützung aus Deutschland für ihre Sache gäbe, schließlich hätten Deutsche und Ukrainer damals auch so gut zusammen gearbeitet. Damals, vor 45. Während es uns kalt den Rücken herunter rieselt, wird deutlich: Wer hier mit einseitigen Klarheiten hantiert, übersieht die Hälfte.

fk proleter novi sad
Hübsches, vom Park aus einsehbares Stadion, leider ohne Spiel

Für unsere Reisegruppe, und leider auch für die auf Fußball wartenden Leser, heißt die schlechte Nachricht des Tages: Das erste der beiden erhofften Spiele, Dinamo Kiev gegen Hoverla Uhzgorod, wird für uns nicht stattfinden, weil es nicht stattfindet: Es ist kurzerhand auf Montag verlegt worden. Sehr ärgerlich, aber nicht zu ändern. Also ab in den nächsten Nachtzug, der uns nach Odessa bringt, von wo aus wir uns sofort auf zum nächsten Marschrutka machen, der uns an die ukrainisch-transnistrische Grenze bringt. Was genau genommen ein Fehler ist, mit dem Zug wäre uns viel Einreisegedöns erspart geblieben, aber da der nur einmal am Tag fährt, wir aber einen Termin haben (die Sache mit dem Fußball, Sie erinnern sich dunkel, lieber Leser und liebe Leserin?) muss es eben diese Variante sein. Sie beinhaltet einen Fußmarsch über die Grenze, viele Zettel, die auszufüllen sind, inklusive zweier Aufenthaltsgenemigungsgesuchsbehördenaufenthalte in den kommenden Tagen sowie einen weiteren Marschrutka, der uns endlich, keine 52 Stunden nach Abreise in Berlin, zum Ziel bringt. Und nun, Obacht, geht es endlich zum Fußball.

Das Derby aller Derbys ist angesagt. Weltweit spricht alles nur vom großen El классики, jedes Kind weiß, wovon ich spreche: Der moldawische Rekordmeister (Ja, die transnistrischen Vereine spielen in der moldawischen Liga, was ein schönes Beispiel für das „Einfrieren“ des Konfliktes ist) Sheriff Tiraspol trifft auf den Stadtnachbarn FC Tiraspol. Tabellenzweiter gegen Tabellenvierter, wobei Sheriff noch Chancen auf den Meistertitel hat. Schnell sind wir am Sportkomplex, den Sheriff gebaut hat, bzw. immer noch baut: Ein großes (ähem) Stadion, welches 13000 Zuschauer fasst, ein kleineres mit einer Kapazität für 8000 Zuschauer und Laufbahn, eine Halle für 3500 Zuschauer, Trainingsplätze, sowie ein noch im Bau befindliches Hotel.

Stadionkomplex Sheriff Tiraspol
Links das “große” Stadion des Sportkomplexes, rechts (erkennbar an den Flutlichtern) das kleine, in dem auch der Nachbar und heutige Konkurrent FC Tiraspol seine Heimspiele austrägt.

Dieser fleischgewordene Knaller eines Spiels findet natürlich im .. kleinen Stadion statt. Immerhin ausverkauft. Also, fast. 1490 Zuschauer. Und wir.
Wir sind mehrheitlich für den FC, das satte Rot der Trikots liegt uns mehr das Schwarz-Gelb des Gastgebers, auch die Dominanz des Sheriffkonzerns allüberall weckt nicht gerade Sympathien. Und tatsächlich geht es gut, jedenfalls 21 Minuten lang, in denen das wirklich nicht unansehnliche Spiel ausgeglichen ist. Dann beginnt die Nummer 4, der Abwehrchef des FC, seine Arbeit. Er schlägt gekonnt im eigenen Strafraum über den Ball, zack 1:0. In der 57. Minute erwirkt er durch eine gut eingeübte Grätsche in die Beine des Gegners einen zum 2:0 führenden Elfmeter, nur fünf Minuten köpft er dem Gegner den Ball kunstvoll in den Lauf und beim abschließenden 4:0 irrt er scheinbar verwirrt durch den Strafraum. Aufgebracht wedeln wir innerlich mit Geldscheinen. Nur die Müdigkeit der Reise in den Knochen kann uns von einem Platzsturm der Entrüstung abhalten. Und die wunderbar warme transnistrische Abendsonne, die uns auf unserem Tribünenplatz wärmt. Die mitgereisten FC-Fans hingegen strecken alle 36 Arme hoch, um ihrer Mannschaft trotzdem nach Abpfiff Applaus zu spenden. Nun gut, wir sind wohl doch nur Eventfans.

Ultras Sheriff Tiraspol
Sehr klein, aber sich nach allen Regeln der Ultrakunst verhaltend, die Sheriffkurve. Mit Trommel und Wechselgesang mit der Gegengerade.

Sheriffinnen
Ein hübsches Beispiel für die Omnipräsenz Sheriffs: Diese Uniform tragen die Damen unabhängig davon, ob sie im Stadion Popcorn verkaufen oder im Supermarkt kassieren.

Damit endet leider auch schon der Fußballcontent dieser Reise. Dumm gelaufen, nicht anders machbar, so ist es halt, irgendwas dazwischen entspricht der Wahrheit. Und weil ich nun nicht weiter langweilen will und das hier ja trotz allem noch ein Fußballblog ist, lasse ich die weiteren Geschichten fort, die vom ukrainischen Grenzer, der skeptisch und nervös wird, weil er uns auf unserem Tagesausflug nach Odessa für eine Abordnung von Reportern ohne Grenzen oder ähnlichem hält; oder der Schwierigkeit an der transnistrisch-moldawischen Grenze einen wichtigen Stempel zu bekommen, da es aus moldawischer Lesart ja an dieser Stelle gar keine Grenze gibt; vom Tag des Sieges am 9. Mai in einem Land, dessen Militär in Bereitschaft ist und deshalb keine Parade abhalten kann, und und und. Unbedingt erwähnt werden sollte allerdings die große Gastfreundschaft, die uns im Land zwischen Dnjestr und der Ukraine entgegenschlug. Und Grüße an den in Rostock studierenden Sohn der Frau vom Markt.

Weiß und weiß und ein betrunkener DFB

1928, Olympische Spiele in Amsterdam. Die Fußballnationalmannschaft des deutschen Reichs gewinnt das Achtelfinale mit 4:0, nur um dann im Viertelfinale sang- und klanglos gegen Uruguay mit 4:1 nach Hause geschickt zu werden.

An dieses glorreiche Auftreten möchte der DFB erinnern und anknüpfen. Anders ist die Wahl des Trikots der deutschen Nationalmannschaft für die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nicht zu erklären. Damals, 1928, war es meines Wissens nach das letzte Mal, dass eine deutsche Fußballnationalmannschaft mit einem roten Brustring auf weißem Grund und, vor allem, mit dazugehörenden weißen Hosen auftrat.

Über Geschmack läßt sich bekannterweise vortrefflich streiten. Das Trikot der Nationalmannschaft hat in dieser Hinsicht in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren dieses Soll so manches Mal übererfüllt. Man denke an die furchtbaren Karos bei der WM 94, bei der glücklicherweise kein Titel gewonnen wurde, so dass es fast gelingen konnte diese ästhetische Grausamkeit aus dem Gedächtnis zu streichen. Auch andere Verschmückungen des Oberteils des Trikots waren eher zum wegsehen. Nun also ein dicker roter Brustring, der leicht V-förmig daherkommt. Schön ist anders, aber um ehrlich zu sein, es gab schon häßlicheres.

Aber das gute war ja, dass dem gemeinen Fernsehkonsumenten in der leider immer seltener werdenden Totalen diese Verunzierungen gar nicht so auffielen. Die Jungs da in den weißen Stutzen, den schwarzen Hosen und dem weißen Trikot mit irgendwelchen unwichtigen bunten Schnörkeln drauf, das war die deutsche Nationalmannschaft.
Damit ist es vorbei. Denn in Zukunft, also für das nächste Turnier, danach ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder alles anders, spielt die deutsche Nationalmannschaft ganz in Weiß. 85 Jahre Tradition werden ohne Not in die Tonne getreten. Eine Tradition, die der DFB bislang selbst heiligte: seit 2006 gilt der recht stupide gehaltene Pocher-Song “Schwarz und Weiß” als offizieller Nationalmannschaftssong. Wir dürfen uns schon freuen auf die neue Version “Weiß und Weiß”.

Den größten Vogel bei dieser völlig verunglückten Marketingnummer schoss allerdings Ausrüster Adidas ab. Statt das Trikot samt falschfarbiger Hose peinlich berührt still und heimlich unter die Leute zu bringen, machen sie auch noch darauf aufmerksam. Und nun, liebe Leserinnen und Leser, halten Sie sich fest: der Slogan zum Trikot heißt: “Unsere Farben oder keine”. Ist das zu glauben?
Für wie blöd halten die uns? Erst bringen sie ein Trikot auf den Markt, das nichts mit “unseren” Farben zu tun hat und dann so ein Slogan?

Und das Adidas bei dieser peinlichen Angelegenheit ein gewaltiges Wort mitgesprochen hat ist zu vermuten: die Spanier, auch ausgerüstet von Adidas, laufen zukünftig in roten statt in blauen Hosen auf (was sie noch nie taten), den Argentiniern nahmen sie anscheinend die schwarze Hose und ersetzten sie ebenfalls durch eine weiße.
So weit, so schlecht, es ist das gute Recht eines Ausrüsters, völlig idiotische Ideen vorzuschlagen, die Frage, die beantwortet werden muss lautet: wie betrunken war der DFB, als er sich von Adidas über den Tisch ziehen lies?
a) Meyer-Vorfelder
b) Schodall besofifnfinene – hicks

So bleibt also nur zu hoffen, dass die deutsche Nationalmannschaft möglichst sang- und klanglos auscheidet, denn einen Erfolg hat dieser seelenlose Verband nicht verdient.

Ach so, wollen wir noch über das Auswärtstrikot reden? Dieses ist zwar noch nicht offiziell vorgestellt, da die Gerüchte über die weiße Hose aber stimmten, dürften auch diese stimmen: in dicken schwarzen und roten Querstreifen soll es daherkommen und so an den brasilianischen Verein Flamengo erinnern. Wenn das Mode wird, freue ich mich schon auf die WM in Katar und die Auswärtstrikotreminizenz der deutschen Nationalmannschaft an den dort heimischen Verein al-Wakrah SC. Mit Argentinien dürfte es da keine Probleme geben, wenn Adidas weiterhin machen darf was es will, spielen die Gauchos bis dahin vermutlich in brasilianischem Gelb-Blau oder so.