Vom erbärmlichen Zustand des serbischen Fußballs.

Fußball in Serbien. Leidenschaftlicher Fußball meets noch leidenschaftlichere Fans, Bengalos, Hooligans, Roter Stern und Partizan, trickreicher südeuropäischer Fußball statt nordeuropäischem Gebolze, Schlitzohrigkeit und Härte. So spricht das Klischee. Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr wenn das Licht angeht:

Eine Woche Belgrad steht auf dem Programm, Fußballspielbesuch ist Pflicht – so denn möglich. Die erste Schwierigkeit mit dem serbischen Fußball ist nämlich dessen Unplanbarkeit. Sofern wir nicht in langen Recherchestunden völlig daneben lagen, scheint es in dem ehemals jugoslawischen Land üblich zu sein, Spieltage erst zwei Tage vor dem tatsächlichen Wochenende zu terminieren. So erfahren wir erst sehr kurz vor Abreise, dass es an unserem Ankunftswochenende kein Sonntagsspiel geben wird in Liga 1 und in Liga 2 kein Belgrader Verein sein Fußwerk an jenem Sonntag verrichtet. Aus Angst am Ende mit völlig leeren Händen dazustehen beschließen wir nach 24 Stunden Zugfahrt kurzer Hand gleich wieder in den Zug zu steigen und in die zweitgrößte Stadt Serbiens, nach Novi Sad, zu reisen. Dort trifft an diesem Sonntag in der zweiten Liga der FK Proleter Novi Sad auf den Lokalrivalen FK Novi Sad. Unsere Reise führt uns in einen Vorort, fast schon ländlich anmutende Dörflichkeit erwartet uns rund um den Sportplatz von FK Proleter. Den Ort des Geschehens Stadion zu nennen würde die Sache wirklich überhöhen. Immerhin behaupten serbische Zeitungen am nächsten Tag, es seien tausend Zuschauer anwesend gewesen, was uns ein arg optimistisch erscheint. Vielleicht aber waren es die ca. 80 Gästefans, die diese Zahl erklären – denn wie wir im weiteren Verlauf erfahren müssen, scheinen Gästefans in Serbien ein seltenes Phänomen zu sein.

fk proleter novi sad
Hurra, das ganze Dorf ist da! (Das Plakat verkündet dazu: Proleter schreibt man mit dem Herzen)

Die Geschichte des Spiels ist schnell erzählt: Der Fußball der beiden Lokalrivalen ist leidenschaftlich, aber schlecht. Weder die einen noch die anderen hätten auch nur den Hauch einer Chance in der zweiten Bundesliga, aber Einsatz und Wille stimmen. In der zweiten Halbzeit verplätschert das Spiel vollends, bis plötzlich in der 87. Minute ein, sagen wir mal, äußerst schmeichelhafter Elfmeter den rot-weiß gewandten Gastgebern das 1:0 beschert – ein Umstand, der nicht mehr zu erwarten war. Schnell noch ein Bier im Vereinslokal, das allerdings mehr Wettbüro als Vereinslokal ist und ab nach Hause.

fk proleter novi sad
Eine seltene Gattung im serbischen Fußball: Gästefans. Mit Bengalos. Und acht Polizisten.

Unsere Sorge, in Belgrad selbst möglicherweise kein Spiel zu sehen zu können, erweist sich als völlig unbegründet: Mitte der Woche erwartet uns der serbische Pokal. Und der Fußballgott meint es gut mit uns: Sowohl der FK Crvena Zvezda (Roter Stern), als auch Partizan Beograd haben ein Heimspiel, die einen am Dienstag, die anderen am Mittwoch – da beide Stadien dieser ewigen Konkurrenten kaum mehr als einen Steinwurf voneinander entfernt liegen, spielen sie nie am gleichen Tag zu Hause.

Zunächst geht es also ins “Marakana” genannte Stadion des einzigen osteuropäischen Vereins neben Steaua Bukarest, dem es jemals gelang, den Landesmeisterpokal zu gewinnen: FK Crvena Zvezda, Roter Stern. Der Umstand, dass der Gegner ein Zweitligist ist, macht uns zwar geringe Hoffnungen auf ein gutes Spiel vor vollem Haus, doch was wir sehen, ist noch weniger als erwartet: 6242 Zuschauer verlieren sich im weiten Rund (das Stadion soll 2012 umgebaut und vergrößert werden, es stellt sich die Frage wofür), keinerlei Gästefans, immerhin, es gibt Ultras, die auch 90 Minuten durch singen und ab und an mit Bengalos wedeln, doch auch das reicht nicht, um wirklich Fußballatmosphäre aufkommen zu lassen.
Der Gegner, FK Banat Zrenjanin – immerhin Dritter der 2. Liga – mauert sich ein und bringt es auf insgesamt vier Konter. Dem ruhmreichen Roter Stern fällt dazu überhaupt nichts ein, es fehlt an Ideen, Laufbereitschaft und überhaupt allem, was erfolgreichen Fußball ausmacht. Bewegung kommt in die Sache, als Gastgeber-Torwart Vesic in der 70. Minute einen der seltenen Konter Banats außerhalb des Strafraums mit der Hand abwehrt, was eine rote Karte und den Einsatz des ghanaischen Abwehrspielers Lee Addy als Torwart zur Folge hat, da Roter Stern schon dreimal wechselte.
20 Minuten also Zeit für Banat diesen Umstand auszunutzen, doch – nicht ein Schuss auf das Tor Roter Sterns. Hilflos, chancenlos, erbärmlich. Und so richtet sich alles auf die Verlängerung ein, als in der 96. Minute ein vermeintliches Handspiel zu einem Elfmeter für den Favoriten führt. Wut und Entsetzen, Rudelbildung, eine rote und zwei gelbe Karte für die Gäste – nichts hilft, Roter Stern gewinnt das Spiel mit 1:0, erzielt in der regulären Spielzeit, also der 98. Spielminute. Der Schiedsrichter bleibt sicherheitshalber noch zehn Minuten auf dem Feld, bevor er sich in Richtung Kabine wagt.

fk crvena zvezda
Wer glaubt, dieses Foto sei Stunden vor dem Spiel entstanden, irrt. Fünf Minuten vor Anpfiff. Zugegeben, die andere Kurve ist voller. (Stadion Crvena Zvezda)

Nun gut, grauenhafte Pokalspiele eines großen Favoriten gegen einen unterklassigen Gegner kennen wir auch. Wir haben also Hoffnung, dass es am nächsten Tag besser wird: Partizan Beograd, zuletzt viermal in Folge serbischer Meister geworden, erwartet FK Metalac – immerhin Erstligist, wenn auch letzter der SuperLiga. Und tatsächlich: Es fallen Tore, ganz ohne zweifelhafte Elfmeter in der letzten Minute. Dummerweise steht es schon 2:0 in der zehnten Minute, in der wir aus mangelnder Ortsunkenntnis (die Kassen sind hundert Meter weiter, falls das mal jemand wissen muss) das Stadion betreten. In Folge dessen – Metalac kann nichts, Partizan will nichts mehr – sehen wir belangloses Geplänkel, das uns zwar noch zwei Tore schenkt, je eins pro Mannschaft, das aber so schlecht ist, dass sogar die Heimfans ihren Unmut äußern. Apropos Heimfans: 2968 sollen es gewesen sein, natürlich keine Gästefans. Traurig.

partizan beograd
Das wahrscheinlich modernste Stadion der Stadt mit dem Tempel des Hl. Sava im Hintergrund.

Vielleicht, so überlegen wir, liegt es ja am Wettbewerb und am Wochentag, dass der Fußball so wenig Menschen locken kann. So geht es also am letzten Reisetag schnell noch zum drittgrößten Verein Belgrads, dem OFK Beograd. Gegner ist FK Borac Čačak – Kellerduell in der ersten Liga, 11. gegen den 14.. Eine letzte Chance für den serbischen Fußball, uns Atmosphäre und Fußball von nennenswerter Qualität zu bieten. Wenigstens eines von beidem wäre schön – wie der geneigte Leser schon vermutet: Weder noch ist der Fall.
Im Gegenteil. 234 handgezählte Zuschauer in einem Stadion, dessen äußerst maroder Zustand zwar einigen Charme hat, aber die Leere auch nicht übertünchen kann und ein Fußballspiel, dessen grauenhafte Qualität alles bisher gesehene unterbietet. Je ein Elfmeter, der der Gäste verschossen, und ein eklatanter Torwartfehler bescheren dem Gastgeber einen verdienten 2:0 Sieg.

ofk beograd
Serbischer Fußball ist, wenn nicht mal die Menschen, die fast im Stadion wohnen zum fenster herausschauen. Aber immerhin gibt es Ordner.

Belgrad ist eine schöne, unbedingt sehenswerte Stadt. Der jugoslawische Fußball war einst eine wichtige Größe, und auch heute ist er so schlecht nicht, bedenkt man, dass drei ehemals jugoslawische Mannschaften in den Play-Offs für die EM stehen und Serbien nur knapp scheiterte, selbige zu erreichen. Und natürlich: Wer gut Fußball spielen kann, spielt nicht in Serbien, nur zwei Spieler des aktuellen Nationalmannschaftskader schnüren ihre Fußballschuhe für einen serbischen Verein. Aber nichtsdestotrotz: Die Zukunft des serbischen Fußballs sieht düster aus, wenn sich die Gegenwart so darstellt, wie sie es tut – Tristesse auf dem Rasen, Tristesse auf den Rängen, völliges Desinteresse aller Beteiligter, Besserung nicht in Sicht. Schade.

11 Antworten auf „Vom erbärmlichen Zustand des serbischen Fußballs.“

  1. ? Sind die vielleicht alle beim Basketball?
    Oder sind die Eintrittspreise unerschwinglich?

    Für die Gästefans: Ist die Infrastruktur in Serbien so schlecht, dass Reisen zu Auswärtsspielen äußerst beschwerlich wäre?
    Oder unbezahlbar?

    Hätte wirklich gedacht, dass es anders zugeht im serbischen Fußball. Andererseits stellt sich gerade bei den jetzt neuen Staaten des ehemaligen Jugoslawiens die Frage, wie klein ein Land maximal sein darf, wenn es eine im Sinne des Zuschauerzuspruchs funktionierende Liga haben will.

    Sehr schöner Bericht, gerne mehr.

    1. Das zu beantworten fällt mir schwer, dafür reichte die Zeit nicht.

      Ich denke, es kommt ein ganzes Bündel an Gründen zu tragen:
      An den Preisen liegt es eher nicht. Zwischen 2 und 4 Euro kostete der Eintritt bei den Spielen, bei denen wir anwesend waren, natürlich ist das, gerade insbesondere der derzeit starken Inflation deutlich mehr als für uns, aber nicht völlig unbezahlbar.

      Ich vermute, dass eine von uns in dieser Woche zwar zu keiner Sekunde spürbare, aber wohl doch vorhandene weit niedrigere Schwelle der Gewaltbereitschaft seitens der Hools eine Rolle spielen könnte und die Qualität des tatsächlichen Fußballs ihr übriges tut. Ein Touristinfo-Mitarbeiter, den wir wegen einer ganz anderen Sache aufsuchten, der sich als Partizan-Fan entpuppte, erklärt, die Menschen “hätten einfach kein Interesse mehr” aktiv zum Fußball zu gehen. Leider war es da noch zu früh um selbst zu dem Schluß zu kommen, dass die Stadien tatsächlich leer sind, um die richtigen Fragen zu stellen.

      Natürlich ist die Aufspaltung Jugoslawiens auch von Belang – sowohl für die Qualität der Liga als auch für die alltagspolitische Haltung und Stimmung der Menschen, die auch Einfluss darauf hat, welchen kulturellen Aktivitäten man frönt.

      Alles in allem: Ich weiß es nicht, ich kann nur raten.

  2. Wenn ich raten darf dann scheint es doch wohl am grottenschlechten Fußball zu liegen, der da geboten wird. Sobald das Duell halbwegs namhaft ist, ist das Roter-Stern-Stadion doch schon einigermaßen gefüllt:

    Wed 06/04/11 CUP Crvena Zvezda 1 – 0 Partizan 41682 attended
    Wed 11/05/11 CUP Vojvodina 0 – 3 Partizan 20000 attended (Pokalfinale)
    Sun 15/05/11 SUL Crvena Zvezda 2 – 1 Rad Beograd 18252 attended
    Thu 04/08/11 UEL Crvena Zvezda 7 – 0 Ventspils 39628 attended
    Thu 18/08/11 UEL Crvena Zvezda 1 – 2 Stade Rennes 51862 attended
    Fri 07/10/11 EUC Serbia 1 – 1 Italy 35000 attended

    Aber, dass freitags bei einem sehr wichtigen Länderspiel gegen Italien nur 35k Zuschauer kommen, ist schon sehr bemerkenswert!

    wichtige Spiele im Partizan-Stadion:

    Sat 23/04/11 SUL Partizan 1 – 0 Crvena Zvezda 17000 attended
    Wed 13/07/11 UCL Partizan 4 – 0 Škendija 79 15324 attended
    Wed 03/08/11 UCL Partizan 1 – 1 Genk 24511 attended
    Thu 25/08/11 UEL Partizan 1 – 2E Shamrock Rovers 13706 attended
    Tue 06/09/11 EUC Serbia 3 – 1 Faroe Islands 7500 attended

    Quelle:
    http://www.soccerway.com/teams/serbia/fk-crvena-zvezda-beograd/venue/
    http://www.soccerway.com/teams/serbia/fk-partizan-beograd/venue/

    (SUL = Liga / CUP = Pokal / UCL = Champions League / UEL = Europa League / EUC = EM2012 Quali)

    1. Das sind allerdings ausschließlich die Rosinen – das ewige Duell zwischen Crvena Zvezda und Partizan, Pokalfinale, Champios League Qualifikation.

      Und dass das Qualifikationsspiel gegen Italien so schlecht besucht war hat sicherlich etwas mit der Geschichte des Hinspiels zu zun.

    2. Entschuldigung, wenn ich mich da nicht deutlich genug ausgedrückt habe, aber genau das wollte ich ja sagen: Bei einem halbwegs namhaften Duell ist eben was los ansonsten gibt es tw. Erstligabegegnung mit weniger als 100 Zuschauern.
      Das brachte mich eben zu der Schlussfolgerung: Fußball ist einfach zu schlecht in Serbien. Die Rosinen kann man so gerade eben noch als “gut besucht” bezeichnen und sonst ist tote Hose.

      Vor allem wenn man bedenkt, wie populär Basketball, Volleyball und Tennis sind. Dort bekommt man vermutlich einfach ansehnlicheren Sport zu sehen mit spannenderen Duellen, was eben die Fußballbegeisterten zu diesen Sportarten abwandern lässt.

      Danke bzgl. der Aufklärung mit Italien, das war mir schon nicht mehr Gedächtnis…

  3. . Teilweise sehr naive Äusserungen. Was hast du erwartet?
    -zweite Liga Serbien. Das waren die zwei kleinen Vereine aus Novi Sad, mit der Korida dürftest du auch noch eine der besseren Szenen gesehen haben.
    -Zvezda-Zrenjanin. Pokal unter der Woche gegen einen Zweitligisten. Da ist die Zuschauerzahl ok.
    -Partizan-Metalac. Hast du Zuschauer aus der 24.000er Stadt Gornji Milanovac erwartet? Ohne es zu wissen, könnte ich den Zuschauerschnitt erraten. Die Kuve evon Partizan zerbricht aktuell wegen schweren internen Problemen.
    -OFK-Cacak. Man streitet sich mit Rad um die Nummer 3 der Stadt, die wie das ganze Land fast nur in PFC und Zvezda unterscheidet.

    Dass der serbische Fussball schlecht ist, keine Frage. Als Fan hofft man Anfang der Saison, dass man vielleicht in die Gruppenphase im Europapokal kommt, dann geht der triste Ligaalltag los. Schau dir mal die Städte an. Das sind Käffer und Vergleiche zur 2. Bundesliga sind da sinnlos, was die finanzielle/wirtschaftliche Situation noch gar nicht berücksichtigt. Im Gegensatz zum verwöhnten Deutschen, dem es ohne viel Können an nix mangelt, hat man nun mal nicht Zeit&Geld, um wegen seinem Hobby “Fussball” lustig durchs Land zu touren. Die grossen Kurven machen sehr viel von der Faszination Stadionbesuch aus und wenn es bei denen nicht läuft (siehe Partizan), gleicht das Niveau auf den Rängen dem auf dem Rasen.

    1. Wenn Du “naiv” mit “unwissend im vorhinein” übersetzt, bin ich natürlich völlig einverstanden. Und ganz bestimmt ist es Zeit, das eigene klischeebehaftete Bild vom serbischen Fußball zu überdenken. Roter Stern und Partizan sind eben Namen, die in meinem bis dato nur aus der Ferne herangebildeten Fußballverständnis große sind.
      Natürlich war mir auch im vorhinein schon klar, dass direkte Vergleiche mit dem deutschen Fußball wenig bringen, auch aus ökonomischen Gründen. Aber auch in anderen Ländern, deren Fußball-Infrastruktur deutlich kleiner ist als in Deutschland habe ich schon mehr Fußballbegeisterung in den Stadien und besseren Fußball gesehen.
      Aber vielen Dank für Deinen Kommentar, er erhellt die Umstände weiter.

    1. Okay, das sieht schon deutlich anders aus, die Zuschauerzahl klingt auch anders. Doofs Ergebnis allerdings.

      Und.. ähm.. am 5. Mai ist letzter Bundesligaspieltag. Ich hoffe zwar, dass es da nicht mehr um wirklich viel geht, aber wer weiß…

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