Wettbewerb

Es begab sich in der Saison 2002/03 in der zweiten Bundesliga. Der ruhmreiche 1.FC Köln hatte mal wieder, wie so oft, jede Menge Ruhm nach Hause gebracht. Um diesen dann, wie noch weitaus öfter, weg zu werfen.

Eine Saison lang konnten wir ganz ohne jede Ironie singen, dass es niemand wagen würde, unseren effzeh zu schlagen. Na ja fast, am 26. Spieltag verlor die Mannschaft gegen die von Mainz, zu Hause. Ansonsten gab es eine gute Menge Unentschieden (derer elf) und noch mehr Siege (achtzehn) bis am 30. Spieltag das hochgesteckte Saisonziel erreicht war: der Aufstieg in die erste Bundesliga. Sieben Punkte Vorsprung auf Freiburg, Tabellenzweiter, zwölf auf einen Nichtaufstiegsplatz. Unschlagbar (fast).

Was folgte waren vier Niederlagen. Freiburg wurde Zweitligameister, der Abstand auf den Nichtabstiegsplatz betrug bloße drei Pünktchen. Beim ersten Spiel nach Aufstieg drückte man noch die Augen zu, der Aufstieg war Montags erfolgt, das Spiel darauf war Freitags, gut, das Feiern, der Alkohol, der Gegner war der zweitplatzierte SC Freiburg, die fehlende Anspannung, okay. Kann passieren. Dann aber folgten drei Niederlagen gegen Mittelfeldmannschaften, die sich bereits jenseits von gut und böse befanden.

Und es ging sehr viel kaputt. Oder alles. In der darauf folgenden Saison ging es wieder nach unten, deutlich, elf Punkte Rückstand auf den Tabellensiebzehnten. Der Grundstein für diese Katastrophensaison wurde in den vier letzten Saisonspielen zuvor gelegt. Dass die Party irgendwie wichtiger ist als auffem Platz, dass das ja alles nicht so wichtig ist, dass der sportliche Wettbewerb jenseits von Saisonzielen nicht ernstzunehmen ist, dass die Pflicht reicht und darüber hinaus kein Interesse herrscht. Das alles lernte die Mannschaft in diesen vier Spielen.

Die Verärgerung war übrigens groß. Nicht mal unbedingt seitens Fans anderer Vereine (andererseits: die sozialen Medien steckten noch in den Kinderschuhen, wer weiß also?), sondern in der eigenen Fangemeinde. Zu deutlich war das nachlassen. Zu deutlich der Mangel an Lust auf Fußball, die ja eigentlich Fans und Spieler verbindet. Und auch damals schon die, wie sich später herausstellte: berechtigte, Sorge um die Spätfolgen. Sorgen um die Mentalität der Mannschaft.

Ich glaube, die Fans des FC Bayern machen einen Fehler, wenn ihre einzige Reaktion auf die Kritik am Auftreten ihrer Mannschaft dieser Tage die verteidigende ist. Natürlich, eine Verurteilung in Bausch und Bogen wäre nach dieser überaus erfolgreichen Saison völliger Quatsch. Ebenso wie das Wort „Wettbewerbsverzerrung“, auch wenn es faktisch richtig ist, wenn ein vollkommen unbesiegbares Team plötzlich ein Spiel nach dem anderen verliert, weil es für es um nichts mehr geht und es somit in den Wettbewerb eingreift. Aber die einer Wettbewerbsverzerrung zu Grunde liegende Absicht zu unterstellen, ist eben das: Quatsch.

Aber Sorgen sollten sie sich machen, wenn die Mannschaft, wie im Rasenfunk schön vorgerechnet, zum zweiten Mal in Folge überproportional viele Spiele verliert, sobald der Meistertitel feststeht. Es mangelt an Sportlichkeit, an der Einstellung und beides ist wichtig, will man noch höhere Ziele als die nationale Meisterschaft erreichen, und das, so hört man, soll ja durchaus der Fall sein bei den Großkopferten aus München.

Nicht dass ich etwas dagegen hätte, wenn dieser Verein seine Ziele nicht erreicht, ganz und gar im Gegenteil, ich hätte halt dann nur gerne, dass der 1.FC Köln in Zukunft seine Spiele gegen die Bayern am Ende der Saison ausrichten darf. Herr Spielplangestalter, was würde das kosten?

Jenseits des Dnjestr. Ein Fußballreisebericht fast ohne Fußball.

„Aus Deutschland?“
Ganz offenbar sind meine Russischkenntnisse mangelhaft genug, dass mein Ausländerstatus sofort erkannt wird. Kaum verwunderlich, bestehen sie doch nur aus knapp zehn Worten.
Ich nicke, verwirrt. Nicht nur aufgrund des schnellen Erkennens, sondern besonders aufgrund der Tatsache, dass die Nachbarin des Marktstandes, an dem ich gerade einkaufe, ihre Worte auf Deutsch an mich richtet.
„Korrespondent?“
„Tourist“
„Kommunismus angucken?“ Sie lacht.
„Auch. Und Fußball.“ Jetzt guckt sie verwirrt.

Wir befinden uns in Transnistrien. Oder, wie die einheimische Bevölkerung sagt, in Приднестро́вье / Pridnestrowje. Wir, das ist eine Reisegruppe befreundeter Unioner, die seit 2007 alle zwei Jahre durch Europa fährt, um an einem obskuren Ort Fußball zu sehen. Und um zu reisen. Uns Groundhopper zu nennen, würde diese Art von Fußballanhängern allerdings beleidigen. Wir sind eine potentiell elfköpfige Gruppe, da sind Terminfindung für bis zu zehn Tage Urlaub wichtiger als Spielansetzungen. Die Ziele werden auch nicht nach fußballerischen Gesichtspunkten ausgewählt. Und die Reiseart (Flugzeug nur wenn nötig und wenn, dann nur auf dem Rückweg) tut ihr übriges. So wird dann die Zahl der tatsächlich sehbaren Spiele zu einer Risikowette, welche in diesem Fall leider eher negativ ausging. Soll heißen: Warnung! Dieser Blogbeitrag enthält wenig kaum Fußball.

Nach Belarus, Belgien, Belgrad und Belfast gingen uns die Ziele, die durch die erdachte Zielfindungsnamensregel erkoren wurden, aus. Eine neue musste her, et voilà: Tiraspol in Transnistrien. Auf der Obskuritätsskala ziemlich weit oben. Ob des unfassbaren Bildungsstandes meiner Leser brauche ich dazu eigentlich nicht viele Worte über das Ziel zu verlieren, da ich aber nicht viel über Fußball schreiben kann, mache ich es trotzdem. Transnistrien liegt östlich von Moldawien, also direkt neben der Ukraine. Und hier begegnen wir dem ersten Obskuritätslevel: Je nachdem, wen man fragt, ist Transnistrien keineswegs ein eigenständiges Land, sondern Teil Moldawiens. Genau genommen antworten offiziell alle so. Außer Abchasien und Südossietien, Länder also, die ebenfalls von niemandem anerkannt werden. Selbst Russland erkennt die Pridnestrowische Moldauische Republik, so der offizielle Titel, theoretisch nicht an, auch wenn es sich anders verhält und davon auch profitiert. Dazu später mehr.
Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion jedenfalls erstarkten in Moldawien ethnisch-nationalistische Kräfte, die gen Rumänien strebten und Politik gegen russische Ethnien sowie die russische Sprache betrieben. Beides zu Hause östlich des Dnjestr, also in Transnistrien. Es kommt zu einer Unabhängigkeitsbewegung von der Unabhängigkeitsbewegung und zu einem bewaffneten Konflikt zwischen 1990 und 1992 und endet vorläufig in einem Einfrieren des Konfliktes und einer De-facto-Unabhängigkeit unseres Ziellands. Dieses trägt Hammer-und-Sichel noch in der Fahne und im Wappen und eine ungetrübte Liebe zu Russland zur Schau, nicht nur offiziell sind russische Fahnen keine Seltenheit, auch die Bevölkerung zeigt sie oft.
Im Land stehen laut Wikipedia 1200-1400 russische Soldaten, was in Zeiten des Ukrainekonfliktes zu Spannungen mit dem Nachbarland führt. Auch finanziell unterstützt Moskau das Land, in dem es allerdings einen allumfassenden Konzern gibt, dessen Verflechtungen mit dem „Staat“ nicht immer transparent sind. Sheriff heißt er, und der geübte Fußballfan, so er denn noch nicht entnervt aufgehört hat zu lesen, erkennt hier einen ersten zarten Hinweis auf Fußball. Denn nicht nur Supermärkte, Tankstellen, Bauunternehmen, Spirituosenfabriken, Bäckereien, ein Fernsehsender sowie das transnistrische Mobilfunknetz gehören Sheriff, sondern auch der beste moldawische Fußballverein.

Aber, so leid es mir tut, vor den Fußball hat der Reisegott die Anreise gesetzt, weitere Geduld ist gefordert. Nach dem Zug nach Warschau steigen wir nämlich in den ersten Nachtreisezug, der uns nach Kiev bringt. Zehn Stunden Aufenthalt haben wir dort. Perfekt für einen Rundgang durch die wunderschöne Stadt, ausreichend um eine grobe Anmutung davon zu bekommen, in welcher Stimmung sich die Stadt rund um den umkämpften Maidan befindet. Die gute Nachricht: Auf diesen natürlich reichlich oberflächlichen Eindruck hin macht die Hauptstadt der Ukraine einen äußerst friedlichen Eindruck. Die schlechte: Neben den vielen blau-gelben Farben, die überall zu sehen sind, sind auch die rot-schwarzen des Prawji Sektor, des Rechten Sektors, wahrlich keine Seltenheit. Gezeigt von Menschen, die uns im Gespräch erzählen, sie wunderten sich darüber, dass es nicht noch mehr Unterstützung aus Deutschland für ihre Sache gäbe, schließlich hätten Deutsche und Ukrainer damals auch so gut zusammen gearbeitet. Damals, vor 45. Während es uns kalt den Rücken herunter rieselt, wird deutlich: Wer hier mit einseitigen Klarheiten hantiert, übersieht die Hälfte.

fk proleter novi sad
Hübsches, vom Park aus einsehbares Stadion, leider ohne Spiel

Für unsere Reisegruppe, und leider auch für die auf Fußball wartenden Leser, heißt die schlechte Nachricht des Tages: Das erste der beiden erhofften Spiele, Dinamo Kiev gegen Hoverla Uhzgorod, wird für uns nicht stattfinden, weil es nicht stattfindet: Es ist kurzerhand auf Montag verlegt worden. Sehr ärgerlich, aber nicht zu ändern. Also ab in den nächsten Nachtzug, der uns nach Odessa bringt, von wo aus wir uns sofort auf zum nächsten Marschrutka machen, der uns an die ukrainisch-transnistrische Grenze bringt. Was genau genommen ein Fehler ist, mit dem Zug wäre uns viel Einreisegedöns erspart geblieben, aber da der nur einmal am Tag fährt, wir aber einen Termin haben (die Sache mit dem Fußball, Sie erinnern sich dunkel, lieber Leser und liebe Leserin?) muss es eben diese Variante sein. Sie beinhaltet einen Fußmarsch über die Grenze, viele Zettel, die auszufüllen sind, inklusive zweier Aufenthaltsgenemigungsgesuchsbehördenaufenthalte in den kommenden Tagen sowie einen weiteren Marschrutka, der uns endlich, keine 52 Stunden nach Abreise in Berlin, zum Ziel bringt. Und nun, Obacht, geht es endlich zum Fußball.

Das Derby aller Derbys ist angesagt. Weltweit spricht alles nur vom großen El классики, jedes Kind weiß, wovon ich spreche: Der moldawische Rekordmeister (Ja, die transnistrischen Vereine spielen in der moldawischen Liga, was ein schönes Beispiel für das „Einfrieren“ des Konfliktes ist) Sheriff Tiraspol trifft auf den Stadtnachbarn FC Tiraspol. Tabellenzweiter gegen Tabellenvierter, wobei Sheriff noch Chancen auf den Meistertitel hat. Schnell sind wir am Sportkomplex, den Sheriff gebaut hat, bzw. immer noch baut: Ein großes (ähem) Stadion, welches 13000 Zuschauer fasst, ein kleineres mit einer Kapazität für 8000 Zuschauer und Laufbahn, eine Halle für 3500 Zuschauer, Trainingsplätze, sowie ein noch im Bau befindliches Hotel.

Stadionkomplex Sheriff Tiraspol
Links das “große” Stadion des Sportkomplexes, rechts (erkennbar an den Flutlichtern) das kleine, in dem auch der Nachbar und heutige Konkurrent FC Tiraspol seine Heimspiele austrägt.

Dieser fleischgewordene Knaller eines Spiels findet natürlich im .. kleinen Stadion statt. Immerhin ausverkauft. Also, fast. 1490 Zuschauer. Und wir.
Wir sind mehrheitlich für den FC, das satte Rot der Trikots liegt uns mehr das Schwarz-Gelb des Gastgebers, auch die Dominanz des Sheriffkonzerns allüberall weckt nicht gerade Sympathien. Und tatsächlich geht es gut, jedenfalls 21 Minuten lang, in denen das wirklich nicht unansehnliche Spiel ausgeglichen ist. Dann beginnt die Nummer 4, der Abwehrchef des FC, seine Arbeit. Er schlägt gekonnt im eigenen Strafraum über den Ball, zack 1:0. In der 57. Minute erwirkt er durch eine gut eingeübte Grätsche in die Beine des Gegners einen zum 2:0 führenden Elfmeter, nur fünf Minuten köpft er dem Gegner den Ball kunstvoll in den Lauf und beim abschließenden 4:0 irrt er scheinbar verwirrt durch den Strafraum. Aufgebracht wedeln wir innerlich mit Geldscheinen. Nur die Müdigkeit der Reise in den Knochen kann uns von einem Platzsturm der Entrüstung abhalten. Und die wunderbar warme transnistrische Abendsonne, die uns auf unserem Tribünenplatz wärmt. Die mitgereisten FC-Fans hingegen strecken alle 36 Arme hoch, um ihrer Mannschaft trotzdem nach Abpfiff Applaus zu spenden. Nun gut, wir sind wohl doch nur Eventfans.

Ultras Sheriff Tiraspol
Sehr klein, aber sich nach allen Regeln der Ultrakunst verhaltend, die Sheriffkurve. Mit Trommel und Wechselgesang mit der Gegengerade.

Sheriffinnen
Ein hübsches Beispiel für die Omnipräsenz Sheriffs: Diese Uniform tragen die Damen unabhängig davon, ob sie im Stadion Popcorn verkaufen oder im Supermarkt kassieren.

Damit endet leider auch schon der Fußballcontent dieser Reise. Dumm gelaufen, nicht anders machbar, so ist es halt, irgendwas dazwischen entspricht der Wahrheit. Und weil ich nun nicht weiter langweilen will und das hier ja trotz allem noch ein Fußballblog ist, lasse ich die weiteren Geschichten fort, die vom ukrainischen Grenzer, der skeptisch und nervös wird, weil er uns auf unserem Tagesausflug nach Odessa für eine Abordnung von Reportern ohne Grenzen oder ähnlichem hält; oder der Schwierigkeit an der transnistrisch-moldawischen Grenze einen wichtigen Stempel zu bekommen, da es aus moldawischer Lesart ja an dieser Stelle gar keine Grenze gibt; vom Tag des Sieges am 9. Mai in einem Land, dessen Militär in Bereitschaft ist und deshalb keine Parade abhalten kann, und und und. Unbedingt erwähnt werden sollte allerdings die große Gastfreundschaft, die uns im Land zwischen Dnjestr und der Ukraine entgegenschlug. Und Grüße an den in Rostock studierenden Sohn der Frau vom Markt.

Die ruhmreiche Fußballkarriere des Martin S.

Der Kamke ist schuld. Ein Satz, mit dem viel mehr Blogbeiträge begonnen werden sollten. Nicht von mir natürlich, ich schreibe ja kaum noch welche. Es sei denn, der Kamke drängt mich dazu. Wie neulich auf Twitter, als es, wenn ich das recht erinnere, um Jugendfußballerfahrungen ging und ich eine halbgare Anekdote einwarf und der Kamke mich mit quasi erhobenem moralischen Zeigefinger bedrängelte, ich möge das doch bitte in einem Blogbeitrag verarbeiten. Was ihm natürlich nicht klar war, ist, dass ich keineswegs über sein exzellentes Gedächtnis verfüge und die wichtigen FaktenFaktenFakten allesamt vergessen habe. Und den Rest in der Zwischenzeit verklärt habe. Und somit nichts der Wahrheit entspricht, wie immer auch die ausgesehen haben mag. Was ich ja nicht mehr weiß. Weswegen es sich vielleicht doch genauso zugetragen haben mag.

Es begab sich vor ziemlich genau dreißig Jahren. Der Autor dieser Zeilen war offenbar gerade zwei, drei Monate zuvor sechzehn geworden und hatte bis dahin eine fußballerische Karriere hingelegt, die in ihrer Bedeutungslosigkeit ihresgleichen sucht. Sie beschränkte sich auf das Kicken mit den Nachbarjungs auf der ruhigen Straße, alle nicht viel besser als ich und somit ohne Lehrpotential, und Einsätzen während Klassenspielen. In einem schoss ich sogar mal zwei Tore, wer weiß, wie das geschehen konnte.
Vermutlich war das auch der Grund, dass ich “Sturm” antwortete, als ich gefragt wurde, wo denn meine Position sei, in jenem Moment, in dem der Traum wahr wurde und ich mittat in einem richtigen Fußballverein. Zuvor hatte Muttern ähnliche Wünsche immer abschlägig beschieden, aus der heutigen Reflektion heraus vermutlich, um mehr Individualität anzuerziehen (Das willst Du doch nur, weil das alle machen) und aus ihrer eigenen Affinität zur Leichtathletik heraus. Aber ich komme ins plaudern und dabei hat die eigene Anekdote noch nicht einmal angefangen.

Wie dem auch sei. Es erfolgte ein Umzug nach Norddeutschland in ein Nest, in dem alle Handball spielten. Vielleicht war das der Grund, dass meiner grandiosen Fußballkarriere nun nichts mehr im Wege stand und so wurde ich Mitglied beim ruhmreichen TuS Varel 09. Und sagte “Sturm”. Und war nicht gut. Eher Ersatzbankmaterial. Was ich bis heute nicht verstehe – also, dass ich wirklich nicht gut war, nicht dass es nicht für die erste Elf reichte – aber es ist durchaus möglich, dass mir das eine oder andere, was nötig gewesen wäre, um besser zu sein, erst spät, sehr spät zuwuchs. Auge, Ahnung, Spielverständnis, solche Dinge, Sie wissen schon. Sportlich war ich, Ballbehandlung war nicht toll, aber in Ordnung.
Was ganz sicher nicht gut war, war mein Torschuss, der ist auch nie besser geworden, jedenfalls nicht bis es mir vor ein paar Jahren beim Wiesenkick den Meniskus zerfetzte. Seitdem hab ich es nicht wieder ausprobiert, aber ich nehme an, es ist nicht besser geworden. Mir fehlte der Wumms, komplett. Klebe Fehlanzeige. Beste Voraussetzungen also für einen Stürmer.
Nun begab es sich, dass die Spieler um mich herum auch nicht gut waren. Besser als ich, größtenteils, aber nicht gut genug für die Liga. Die nämlich hatte die A-Jugend, in die ich kam, geerbt vom vorhergehenden, weitaus besseren Jahrgang. Um es mit ein paar Vielleicht-Fakten (siehe Exkurs weiter oben zum Thema Wahrheit) bebildern: Ich glaube, es war die Bezirks-Oberliga und ich glaube, es war die dritthöchste Spielklasse in der damaligen A-Jugend. Heute ist das alles anders sortiert, eine Junioren-Bundesliga z.B. gab es noch nicht. Glaube ich.

Vielleicht also hieß das alles ganz anders, das Einzugsgebiet der Gegner war jedenfalls groß. Von den um die Ecke liegenden Wilhelmshaven und Oldenburg (VfB und VfL) bis nach Stade und hinunter bis nach Georgsmarienhütte, zu TuRa Melle und, ich glaube, Eintracht Nordhorn. War nicht sogar die Mannschaft des VfL Osnabrücks dabei? Ich werde es vermutlich nie erfahren.
Das erste augenscheinliche Ergebnis dieser hohen Spielklasse und der damit verbundenen Gegner waren unchristliche Aufstehzeiten. Sonntägliche Treffen um Sechs. Morgens. Bitte versuchen Sie sich in die Zeit, in der Sie sechzehn, siebzehn waren, zurückzuversetzen, es dürfte Ihnen leichter fallen als mir, da es weniger weit weg ist: Es gibt in dem Alter wirklich besseres als Sonntags früh in der Kälte zu stehen und auf den Kleinbus zu warten, der Sie nach Jottwehdeh transportieren soll.

Vor allem dann, und damit kommen wir zum Kern der Sache (hier beginnt die eigentlich recht kurze Anekdote), wenn Sie einerseits sehr gute Chancen haben, den Tag auf der Ersatzbank zu verbringen und andererseits die Chancen, dass am Ende wenigstens ein Sieg herausspringt, ungleich kleiner ist. Sagen wir es wie es war: Wir begannen die Saison mit einer beispiellosen Niederlagenserie. Der Trainer wurde gewechselt, was kein Verlust war, der alte hatte wenig beibringen können. Der neue allerdings auch nicht. Die Niederlagenserie ging weiter. Der Trainer wurde noch mal gewechselt, der Winter kam, die Niederlagenserie hielt an. Kein Punkt, kein einziger. Die Rückrunde begann und alles wurde schlechter. Verglichen mit der Stimmung in der Mannschaft wäre ein Haifischbecken eine Wellnessoase. Sie können sich vorstellen, dass das vor allem zum unteren Ende der mannschaftlichen Hierarchie durchgereicht wurde. Ich winke an dieser Stelle, damit Sie sich ungefähr vorstellen können, wohin.
Die Niederlagenserie hielt. Wir wurden immer weniger, da der eine oder andere beschloss, besseres zu tun zu haben, als sich Sonntagsmittags die Hucke voll hauen zu lassen. Was gut war, denn es erhöhte meine Einsatzzeiten drastisch. Schlecht daran war, dass wir manchmal nur mit neun oder zehn Mann aufliefen. Gegnerische Trainer begannen wüst und in unflätigsten Tönen ihre Mannschaft zu beschimpfen, wenn sie das Gefühl hatten, wir könnten den schon kassierten sechs oder acht Toren vielleicht mal eins entgegen setzen. Was selten geschah. Ich beging ein böses ungeahndetes Revanchefoul, was aber eine andere, noch belanglosere Geschichte ist. Nur soviel: er hatte es verdient. Tore schoss ich keine. Aber ich hielt durch.

Die Niederlagenserie hielt auch durch. 0 Punkte, nach wie vor. Die Anzahl der Kisten Bier, die uns von den uns verhöhnenden erwachsenen Vereinsmitgliedern versprochen waren für den Fall, dass wir doch mal aus Versehen einen Punkt ergattern sollten, wuchs. In der Theorie. In der Praxis: Die Niederlagenserie hielt.
Ich gab auf. Ging nicht mehr hin. Spaß war schon lange nicht mehr gegeben. Nicht im Training, nicht in der Mannschaft, nicht im Spiel, aber ich hatte durchhalten wollen, nicht das Handtuch werfen. Was genau den Ausschlag gegeben hatte, weiß ich leider nicht mehr. Warum auch immer: ich gab auf, drei, vier, fünf Spieltage vor Schluss.

Das nächste Wochenende, das nächste Spiel kam, ohne mich, weder auf dem Spielfeld, noch auf der Ersatzbank.

Endergebnis: 1:1. Et voilà.

Ein, zwei Jahre später versuchte ich es nochmal, beim TuS Jaderberg in der 2. Herren, ich schoss sogar Tore, wir stiegen auf, es war nicht alles schlecht im Vereinsfußball. Bis ich im Vorbereitungsspiel zur neuen Saison an einem Tag mit weit über 30 Grad kotzen musste und der neue Trainer mich bepöbelte, warum ich meine Mannschaftskameraden so im Stich ließ. Dann war Schluss. Aber das ist eine andere Geschichte. Und diesmal dermaßen uninteressant, dass sogar der Kamke da nichts machen kann.

No relaxation, no relief

Wie man vermutlich weiß, bin ich Fan zweier Vereine. Zweier Vereine, die in der Vergangenheit nicht unbedingt den Erfolg in riesigen Lettern auf ihre Fahnen geschrieben haben – der eine mit durchaus ruhmreicher Vergangenheit, aber einem inzwischen leider zurecht etablierten Image als Fahrstuhlmannschaft, der andere war nie mehr als ein Zweitligist mit Hang zum Absturz. Jedes Spiel, jede Saison birgt das Risiko, dass das, was vielleicht in der vergangenen Woche, in der letzten Saison gelang, wieder zunichte gemacht wird. Dass eine seitens des Vereins getroffene Entscheidung eine falsche war. Falsche Entscheidungen kosten Geld, sie kosten Zeit und Zeit und Geld sind für die allermeisten Vereine – mit Ausnahme von ein, zwei Handvoll weltweit – eine knappe Ressource. Jede Entscheidung birgt also ein Risiko, das durch sorgsames Abwägen und eine Politik der kleinen Schritte minimiert werden soll. Aber auch sorgsam abgewogene Entscheidungen können falsch sein und auch ein kleiner, falsch gemachter Schritt kann katastrophale Auswirkungen haben, wenn er denn an einem neuralgischen Punkt geschieht.

Der Verein.. nein, es ist kein Verein, das Franchise zu Marketingzwecken, um das es hier gehen soll, kennt dieses Risiko nicht. Sicher wird man in Fuschl am See nicht erfreut sein, wenn Geld versenkt wird, ohne dass es den erhofften sportlichen und damit werbewirksamen Erfolg bringt. Aber die Existenz des Franchise ist dadurch nicht bedroht und aufgrund des unermesslichen Reichtums des Mutterunternehmens können so viele Schritte gleichzeitig gemacht werden, dass ein Fehltritt kaum auffällt. Das Salzburger Franchise macht es vor: In den vergangenen neun Saisons konnten fünf Meisterschaften gewonnen werden, die übrigen vier Spielzeiten wurden auf Platz 2 beendet. Dass dafür sechs Trainer benötigt wurden und trotz dieser häufigen Wechsel an entscheidender Stelle der Erfolg garantiert werden konnte, spricht Bände.

Doch das Franchise selbst soll hier weniger im Mittelpunkt stehen. Auch die Zuschauer, die alle zwei Wochen ins Leipziger Zentralstadion wandern, tun dies, ohne sich dem üblichen Risiko eines Fußballfans auszusetzen. Gewiss, auch Werbung Leipzig gewinnt nicht jedes Spiel, mancher Aufstieg gelang nicht im ersten Anlauf, aber doch kann sich der Zuschauer sicher sein, dass das Risiko einer unschönen Niederlage oder gar einer das Projekt Champions League nachhaltig gefährdenden Niederlagenserie bis zur Unkenntlichkeit minimiert ist. Schon zu Oberligazeiten war sicher, dass der Weg in die Spitze der Ersten Bundesliga führen würde. Das schöne Fußballerlebnis ist nicht gefährdet. Das Leipziger Franchise passt wunderbar in diese schöne neue Welt – es tut nicht weh, es bietet Gewissheit und abwaschbare Leichtigkeit und fordert keine Mitarbeit.

Mancher der in Leipzig heimischen Fußballfans wird nun einwenden, dass die anderen in der Stadt ansässigen Fußballvereine ein Übermaß an Risiko bieten. Nicht nur der permanente sportliche und wirtschaftliche Misserfolg, den Lok und Chemie Leipzig personalisieren, auch das insbesondere bei Lok Leipzig vorhandene rechtsradikale Publikum, lange vom Verein geduldet, wenn nicht gar gefördert, machen es schwer, diesen Vereinen die Daumen zu drücken.
Aber auch außerhalb Leipzigs, quer durch die ganze Republik, mehren sich die Verteidiger des Franchise. Ein genauerer Blick zeigt, dass das das verminderte Risiko, dass es dem Leipziger Zuschauer so einfach macht, sich zur Werbestaffage instrumentalisieren zu lassen keine Rolle spielt. Offenbar geht es einerseits vielmehr um Bewunderung der betriebswirtschaftlichen Leistung des Mutterunternehmens – gerne mit dem Argument unterfüttert, andere Vereine könnten ja das gleiche leisten, wenn sie nur ordentlich arbeiten würden. In Anbetracht der Tatsache, dass sich das Leipziger Franchise in diesem Transfersommer für nahezu die selbe Summe verstärkte wie alle 17 Ligakonkurrenten zusammen, eine eher zweifelhafte Aussage. Andererseits scheint für viele die Existenz und Vorgehensweise von Werbung Leipzig ein willkommener Ausdruck marktradikaler Ideologie zu sein. Exemplarisch dafür kann der Text „They Can’t Relax With Modern Football“ des Blog vert et blanc betrachtet werden. Der Text, der bereits im Februar diesen Jahres erschien, eine Antwort auf eine Titelgeschichte des Magazins „11 Freunde“ darstellte und von den Lesern und Leserinnen der Fokus Fußball Link11 zum Blogpost des Monats gewählt wurde, versammelt in besonders verdichteter Weise diese ideologische Unterfütterung.

Das Franchise erscheint darin als eine Art Retter, als ein Schutzraum vor vormodernen Welten. Außerhalb des Refugiums des ungestörten Kapitalismus herrschen “vorzivilisatorische Zustände”. Worte, die es lohnen, innezuhalten. Vorzivilisatorisch. Frei jeder Kultur, frei jeden Regelwerks. Die Barbarei droht. Die sprichwörtlichen Wilden stehen vor den Toren, getrieben von “Hass auf alles Moderne” und “neurotischen Reflexen”. Wer die Begeisterung über den Marktradikalismus nicht teilt, ist also pathologisch, muss geheilt werden. Nur das Franchise bietet Schutz. Dort, wo alles getan wird, um Mitbestimmung zu verhindern, der Zuschauer auf seine Rolle als Konsument reduziert wird, das investierte Erlebniskapital risikolos angelegt werden kann, dort darf die Zivilisation endlich modern sein.

Markt ist Freiheit. Risiko ist Barberei. Schöne neue Fußballwelt.

Zwei Expertensuperscouts tanken Super

Das war so: wie schon des öfteren in diesen schriftlichen Gefilden erwähnt, reiste ich einst mit Freund S. einige Monate durch den Süden Südamerikas. Argentinien in erster Linie, von Nord bis Süd, dann ganz unten am Ende der Welt hinüber nach Chile und dort wieder hinauf, um zum Schluss noch einige Wochen in der schönsten Stadt der Welt, Buenos Aires zu verbringen.

So weit, so gut. Das Problem für zwei Fußballfans in Argentinien und Chile lag im Reisezeitraum. Sommer. Also: hier Weihnachten und dort – Sommerpause. Das ist einigermaßen blöd, will man gerne Fußball live im Stadion sehen. Ein Zweitligaspiel in Santa Fe am Anfang der Reise, ein Ligaspiel bei San Lorenzo sowie ein Copa Libertadores-Spiel Independientes am Ende der Reise. Eine magere Ausbeute für drei Monate. Zwischendurch half nur die Zusammenfassung der schönsten Maradona-Tore, die täglich auf irgendeinem Fernsehsender zu finden war. Und, und davon will ich hier eigentlich erzählen, das Torneo Preolímpico Sudamericano Sub-23.

Wir befanden uns zufälligerweise gerade in Viña del Mar, an der chilenischen Küste auf Höhe Santiagos gelegen, und wie es der Fußballgott wollte, fand just zu diesem Zeitpunkt der vorletzte Spieltag dieses Olympiaqualifikationsturniers statt. So pilgerten wir ins Estadio Sausalito und sahen nicht ein, nein: zwei Spiele, direkt hintereinander. Zunächst, für das weitesgehend chilenische Publikum eher eine Vorspeise, der spätere Olympiasieger Argentinien mit einem Sieg gegen Paraguay, immerhin späterer Silbermedaillengewinner. Die Sympathien des chilenischen Publikums waren eindeutig auf argentinischer Seite, unsere nicht weniger, und so sahen wir in Ruhe und Freude Javier Mascherano und dem Jungstar jener Zeit, Carlito Tévez, zu, beides Spieler, von denen wir auf der bisherigen Reise schon einiges gehört hatten.

Dann kam der Hauptgang und unsere Kenntnis über Spieler im chilenischen oder brasilianischen Trikot sank auf Null. Diego spielte, er schoss sogar eines der Tore, die zum 3:1-Sieg für Brasilien führten und half damit, Chiles Hoffnungen auf eine Olympiateilnahme endgültig zu beerdigen. Aber damals sagte mir der Name Diego nichts und das war auch völlig in Ordnung so, wer will schon brasilianische Spieler kennen?

Der chilenischen Seite hingegen flogen sofort unsere Herzen zu. Zugegeben, auch wegen der Gesänge und der freudigen Unterstützung des Publikums für die deutlich unterlegenen Jünglinge in Rot-Blau. Und selbstverständlich sahen wir es als unsere Aufgabe, aus der Elf der Jungspunde, die da vor unseren Augen ihrem Spieltrieb nachging, ein Juwel herauszupicken, um dessen Namen sofort in die Heimat zu kabeln, auf dass der Lieblingsverein sofort einer Verpflichtung des kommenden Weltstars nachkomme.

Daraus wurde nichts. Die beiden natürlich formidabel geschulten Expertensuperscouts konnten sich nicht einigen. Der eine bevorzugte den etwas dunkelhäutigen Flügelflitzer, der andere den mit wehenden Haaren durch das Mittelfeld wirbelnden Zehner. Kein Telegramm in die Heimat, so viel war klar. Aber eine Wette war geboren: Gewinner ist der, dessen Spieler es als erster schafft, in unserer europäischen Fußballblase aufzutauchen. Sei es als Vereinsspieler, in einem europäischen Pokalwettbewerb, sei es als Nationalspieler.

Um es – endlich – kurz zu machen: auch daraus wurde nichts. Beide wechselten im kommenden Sommer gleichzeitig zu Servette Genf, auf Leihbasis, machten zwei Handvoll Spiele und verschwanden nach einer Saison wieder nach Südamerika.

Immerhin: beim Spiel der Chilenen gestern gegen Australien, wurde “meiner”, Jorge Valdivia, in der 68. Minute für S.’ Objekt der Begierde, Jean Beausejour, ausgewechselt. Beide schossen je ein Tor. Expertensuperscouts, sag ich doch.

Weiß und weiß und ein betrunkener DFB

1928, Olympische Spiele in Amsterdam. Die Fußballnationalmannschaft des deutschen Reichs gewinnt das Achtelfinale mit 4:0, nur um dann im Viertelfinale sang- und klanglos gegen Uruguay mit 4:1 nach Hause geschickt zu werden.

An dieses glorreiche Auftreten möchte der DFB erinnern und anknüpfen. Anders ist die Wahl des Trikots der deutschen Nationalmannschaft für die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nicht zu erklären. Damals, 1928, war es meines Wissens nach das letzte Mal, dass eine deutsche Fußballnationalmannschaft mit einem roten Brustring auf weißem Grund und, vor allem, mit dazugehörenden weißen Hosen auftrat.

Über Geschmack läßt sich bekannterweise vortrefflich streiten. Das Trikot der Nationalmannschaft hat in dieser Hinsicht in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren dieses Soll so manches Mal übererfüllt. Man denke an die furchtbaren Karos bei der WM 94, bei der glücklicherweise kein Titel gewonnen wurde, so dass es fast gelingen konnte diese ästhetische Grausamkeit aus dem Gedächtnis zu streichen. Auch andere Verschmückungen des Oberteils des Trikots waren eher zum wegsehen. Nun also ein dicker roter Brustring, der leicht V-förmig daherkommt. Schön ist anders, aber um ehrlich zu sein, es gab schon häßlicheres.

Aber das gute war ja, dass dem gemeinen Fernsehkonsumenten in der leider immer seltener werdenden Totalen diese Verunzierungen gar nicht so auffielen. Die Jungs da in den weißen Stutzen, den schwarzen Hosen und dem weißen Trikot mit irgendwelchen unwichtigen bunten Schnörkeln drauf, das war die deutsche Nationalmannschaft.
Damit ist es vorbei. Denn in Zukunft, also für das nächste Turnier, danach ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder alles anders, spielt die deutsche Nationalmannschaft ganz in Weiß. 85 Jahre Tradition werden ohne Not in die Tonne getreten. Eine Tradition, die der DFB bislang selbst heiligte: seit 2006 gilt der recht stupide gehaltene Pocher-Song “Schwarz und Weiß” als offizieller Nationalmannschaftssong. Wir dürfen uns schon freuen auf die neue Version “Weiß und Weiß”.

Den größten Vogel bei dieser völlig verunglückten Marketingnummer schoss allerdings Ausrüster Adidas ab. Statt das Trikot samt falschfarbiger Hose peinlich berührt still und heimlich unter die Leute zu bringen, machen sie auch noch darauf aufmerksam. Und nun, liebe Leserinnen und Leser, halten Sie sich fest: der Slogan zum Trikot heißt: “Unsere Farben oder keine”. Ist das zu glauben?
Für wie blöd halten die uns? Erst bringen sie ein Trikot auf den Markt, das nichts mit “unseren” Farben zu tun hat und dann so ein Slogan?

Und das Adidas bei dieser peinlichen Angelegenheit ein gewaltiges Wort mitgesprochen hat ist zu vermuten: die Spanier, auch ausgerüstet von Adidas, laufen zukünftig in roten statt in blauen Hosen auf (was sie noch nie taten), den Argentiniern nahmen sie anscheinend die schwarze Hose und ersetzten sie ebenfalls durch eine weiße.
So weit, so schlecht, es ist das gute Recht eines Ausrüsters, völlig idiotische Ideen vorzuschlagen, die Frage, die beantwortet werden muss lautet: wie betrunken war der DFB, als er sich von Adidas über den Tisch ziehen lies?
a) Meyer-Vorfelder
b) Schodall besofifnfinene – hicks

So bleibt also nur zu hoffen, dass die deutsche Nationalmannschaft möglichst sang- und klanglos auscheidet, denn einen Erfolg hat dieser seelenlose Verband nicht verdient.

Ach so, wollen wir noch über das Auswärtstrikot reden? Dieses ist zwar noch nicht offiziell vorgestellt, da die Gerüchte über die weiße Hose aber stimmten, dürften auch diese stimmen: in dicken schwarzen und roten Querstreifen soll es daherkommen und so an den brasilianischen Verein Flamengo erinnern. Wenn das Mode wird, freue ich mich schon auf die WM in Katar und die Auswärtstrikotreminizenz der deutschen Nationalmannschaft an den dort heimischen Verein al-Wakrah SC. Mit Argentinien dürfte es da keine Probleme geben, wenn Adidas weiterhin machen darf was es will, spielen die Gauchos bis dahin vermutlich in brasilianischem Gelb-Blau oder so.

Arsenal London und Freunde.

Kürzlich war es mal wieder so weit: ein empörtes Schnauben und Zetern ging durch die bundesdeutsche Blogo-, Twitter- und Fratzenfibelsphäre. Mesut Özil wechselte. Doch nicht der Wechsel selbst – gut, der auch – war Grund für die Aufregung, es war eher der Verein, bei welchem er zukünftig seine Zauberkünste vorführt, genauer gesagt die in Deutschland gerne und fälschlicherweise benutzte Bezeichnung für diesen Verein: der FC Arsenal London. Nein! Nein! Eben nicht!

Herrgott, wie oft muss man es noch sagen – Flammen der Empörung kriechen aus diesen Worten – der Verein heißt FC Arsenal. Punkt. Kein London. (Hysterisches Schreien und Wüten aus dem Off).

Gut, Butter bei die Fische: der Verein heißt in der Tat nicht Arsenal London, niemand auf der Welt außer uns Deutschen sagt dies so und ohne jeden Zweifel ist es ein Zeichen des Respektes, wenn man sich die Mühe macht einen Verein so zu benennen, wie er heißt, statt ihm einen Fantasienamen zu geben.
Das regelmäßig stattfindende Ausmaß der Empörung allerdings ist albern. Vor allem aber ist es heuchlerisch, wenn nicht im gleichen Maße all die anderen deutschen Vereinsnamensverballhornungen mit der gleichen Verve anprangert werden. “Arsenal London” ist nämlich keineswegs allein auf weiter Flur. Wer also regelmäßig mit Schaum-im-Mundwinkel-Problemen zu kämpfen hat, wenn die Wortkombination “Arsenal London” fällt, eine der folgenden Vereinsbezeichnungen aber klaglos hinnimmt oder gar selbst benutzt, möge sich bitte mit Anlauf selbst auf die Nase hauen.

Bröndby Kopenhagen
Olympique Lyon
Olympique Marseille
Girondins Bordeaux
Sporting Lissabon
Benfica Lissabon
Ajax Amsterdam
Partizan Belgrad
Roter Stern Belgrad
Glasgow Rangers
Celtic Glasgow
Juventus Turin
CSKA Sofia
Ferencváros Budapest
Honved Budapest
Betis Sevilla
Fenerbahçe Istanbul
Galatasaray Istanbul
Beşiktaş Istanbul

Und das ist sicher nur die Spitze des Eisbergs, weitere Hinweise werden gerne in den Kommentaren angenommen.

Und im Fortgeschrittenenkurs unterhalten wir uns dann darüber, dass der FC Arsenal nun mal gar nicht FC Arsenal heißt, sondern Arsenal FC, der Fußballklub aus Villareal nicht FC Villareal, sondern Villareal CF und warum wir nicht davon lassen können, den AC Milan und Internationale Milano einzudeutschen.

Und zwischen den Fahnen ein grünes Fußballfeld. Fußball in Belfast.

Das Erste, was den müden Augen unserer Reisegruppe an diesem trüben und kalten Ostermontagmorgen ins Auge fällt, als wir die Fähre in Belfast, unserem Reiseziel, verlassen, sind Fahnen. Viele. Alle zeigen den Union Jack. Seitdem der Stadtrat Belfasts im Dezember beschloss, die britische Fahne nicht mehr durchgängig auf der City Hall wehen zu lassen, ist er wieder sichtbarer geworden, der Konflikt zwischen katholisch-irischer und protestantisch-britischer Seite.
Die Unruhen im Januar – als befürchtet werden musste, dass der seit 1998 anhaltendeee Waffenstillstand brüchiger sein könnte als gehofft – sind glücklicherweise wieder abgeebbt, doch die Fahnen hängen noch, an den Häusern und Laternenmasten oder als Wimpelketten quer über die Straße. Der Union Jack überall dort, wo die Loyalisten wohnen; die irische Fahne in den republikanischen Wohngegenden. Und so gesellen sich viele Fahnen zu den anderen Anzeichen einer in sich zerrissenen Stadt, zu den vielen häufig gewaltverherrlichenden Murals und den die einzelnen Stadtviertel durchschneidenden Peace lines, bis zu acht Meter hohe Wände aus Stein, Stahl und Zaun.

Rekordmeister Linfield FC wird geehrt. Unten rechts: Werbung für eine eher radikale Unterstützergruppe der schottischen Rangers. Klick: größere Ansicht.

Unsere erste Begegnung mit Fußball findet auf der Shankill Road statt, der bekanntesten protestantischen Straße im Westen Belfast. Einige Häuserblocks entfernt von einem großen Wandbild zu Ehren des nordirischen Rekordmeisters Linfield FC, trinken wir ein Bier in einem Pub, der sich Northern Ireland Supporters Club nennt. Nicht nur die Adresse, auch der Name verrät schon, welche Gesinnung hier vertreten wird – republikanische Nordiren tränken ihr Bier kaum in einer Lokalität, die die nordirische Nationalmannschaft unterstützt. Zwischen verzierten Spiegeln, die dem einzigen nordirischen Sieg über England in einem Pflichtspiel (1:0 in der WM-Qualifikation 2005) oder dem mit Abstand besten Fußballers Nordirlands, George Best, gedenken, erfahren wir, dass es ein paar Häuser weiter Tickets für die Pokalspiele am kommenden Wochenende geben soll.

Das nämlich ist die Crux an dieser Reise: wir reisen zu einem Zeitpunkt, an dem die Liga, so glauben wir, Pause macht, zwischen regulären Meisterschaftsspielen und den Playoffs, in denen die ersten Sechs, ihre Punkte aus den bisherigen Spielen mitnehmend, den Meister ermitteln. Aber wir werden Fußball sehen können: die beiden Pokalhalbfinale finden am kommenden Samstag statt, erst die Partie Portadown FC – Glentoran FC im Windsor Park, dem Nationalstadion Nordirlands und sportliche Heimat Linfields, anschließend im Oval – Heimat Glentorans – das Nord-Belfaster Derby Crusaders FC – Cliftonville FC.
Doch Karten bekommen wir an diesem Tag nicht, und so umrunden wir mit weitem Umweg die Peace Line, um auf der anderen Seiten auf das katholisch-republikanische Pendant der Shankill Road, die Falls Road, zu kommen.

Hier finden wir uns schnell in einem Pub namens The Red Devil wieder, in dem laut Hinweisschild Kinder nur Zugang während der Übertragung von Fußballspielen haben und zudem nur die Farben von Manchester United, Celtic und der Republic of Ireland erlaubt sind. Die Liebe zu Manchester erklärt wieder George Best, die zu Celtic ist im nordirischen Konflikt begründet: in dieser Ecke Belfasts zählt natürlich nur die katholische Seite des Old Firms.
Doch noch ein weiterer Verein wird hier gemocht und so erfahren wir, dass nicht das Pokalspiel am kommenden Samstag das wichtigste Spiel dieser Woche für den Cliftonville FC ist, sondern das am morgigen Dienstag ausgetragene erste Playoff-Spiel gegen den Nachbarn Crusaders. Wir freuen uns natürlich so unverhofft ein weiteres Spiel sehen zu können, zumal wir mittlerweile in Erfahrung gebracht haben, dass unser Domizil fast in Spuckweite zum Solitude, dem Heimatstadion Cliftonvilles ist.

Manchester-Rot sowie Celtic und Irland-Grün sind erlaubt. Klick: größere Ansicht.

Gesagt, getan. Dienstag: Spieltag. Cliftonville FC versus Crusaders FC. Heimspiel für den ältesten Verein der ganzen Insel (gegründet 1879), derzeitiger Tabellenführer und mit einem grünen Kleeblatt in rotem Kreis gewappnet, das wohl nur uns Deutsche schwer an Rot-Weiß Oberhausen erinnert, den Rest der Welt vermutlich an Celtic. Gegner ist nicht nur, wie bereits erwähnt, der unmittelbare Nord-Belfaster Nachbar, sondern auch der Tabellenzweite, der einzige Verein, der Cliftonvilles Titelträume noch in Gefahr bringen kann und dem Namen gemäß einen Kreuzfahrer im Wappen zeigt.
Ein Spiel also, das also viel bietet: Nachbarschaftsduell und Titelkampf und nicht zuletzt der nordirische Konflikt – ein für Januar angesetztes Ligaspiel wurde seinerzeit ausgesetzt, da befürchtet werden musste, dass es im Flaggenstreit für Zündstoff sorgen könnte.

Die Südseite des Solitude. Beachtenswert auch: Kunstrasen. Nicht die dümmste Idee, wie wir später sehen werden. Klick: größere Ansicht.

So kreist auch ein Hubschrauber über unseren Köpfen, als wir auf dem Weg zum Solitude, dem Stadion Cliftonvilles sind. Ein Stadion, in dem der Verein seine Heimspiele seit 1890 austrägt, seit 1970 nur noch aus drei Seiten besteht und das angeblich 6220 Zuschauer fassen soll. Ich bin da ein bisschen skeptisch, das Stadion ist zu gut Dreivierteln besetzt und ich schätze 3000 Zuschauer, aber ich kann mich irren, Zuschauerangaben in Zeitungen scheinen in Nordirland jedenfalls nicht sonderlich en Vogue zu sein, so dass keine verlässlichen Angaben vorliegen. Diese 3000 Zuschauer jedenfalls verzichten auf jegliches Ultra-Verhalten, es gibt kaum Gesänge und wenn, dann eher der einfachen Art. Das bedeutet keineswegs, dass das Publikum weniger leidenschaftlich dabei wäre, jeder zweite Ball wird kommentiert, laut und nicht selten nicht jugendfrei.
Und Grund gibt es zu fluchen für die Red Army, wie sich die Cliftonviller Anhänger der Reds nennen: Zur Halbzeit steht es eher unverdient 0:1.
Doch Cliftonville, denen bereits zur Halbzeit unsere Sympathie gehört, hat Liam Boyce. Ein Jahr spielte er bei Werder Bremen II, bevor er desillusioniert zurück auf die Insel kehrte und er spielt die Saison seines Lebens. Und auch heute macht er die Saisontore Nummer 25 und 26 zu einem schwer umjubelten und hochverdienten Endstand von 3:1. Und nicht nur deswegen ziehen wir unseren Hut, der erwartete Untere-Ligen-Graupenfussball entpuppt sich als recht ansehnlich, insbesondere Cliftonville zeigt mitunter Spielzüge, die wir hier so nicht erwartet haben.

Eine historische Saison scheint also möglich zu sein für Cliftonville: Im Januar bereits den Liga-Pokal gewonnen (gegen, natürlich, die Crusaders), jetzt nur noch zwei Punkte von der Meisterschaft entfernt und am kommenden Samstag, vor unseren Augen, das Pokalhalbfinale – das Triple steht greifbar nahe. Und Cliftonville ist ansonsten nicht gerade Titelsammler, gerade mal drei Meisterschaften in 134 Jahren stehen auf dem Briefkopf, die großen, titelträchtigen Mannschaften sind Linfield und Glentoran.

Auf diesem Rasen trägt die nordirische Nationalmannschaft ihre Heimspiele aus Und nein, das ist keine optische Täuschung. Klick: größere Ansicht.

Letztere stehen an jenem Samstag zuerst auf dem Programm. Dankenswerterweise finden beide Halbfinale nacheinander statt, in den beiden größten (hier ist ein kleines Hüsteln erlaubt, wenn nicht gar angebracht) Stadien. Zunächst also geht es in den Windsor Park. Auch hier gibt es nur drei Seiten, dafür sieht der Rest allerdings schon nach richtigem Fußballstadion aus. Fast jedenfalls, dann wenn man den Rasen außer acht lässt (siehe Bild). Uns verschlägt es auf den Railway Stand (unser Eisenbahnherz hüpft vor Freude), dort wo die Fans des Portadown FC stehen und sitzen. Und hui, neunzig Minuten Dauersupport der Fans aus dem kleinen Städtchen südwestlich von Belfast. Das überrascht, insbesondere, da das Spiel zwischen dem Tabellensiebten gegen den -vierten dann doch das bietet, was wir vom nordirischen Fußball erwartet haben: Gebolze und Gegrätsche, wenig bis gar kein Spielfluss und Torchancen, die an einer Hand abzählbar sind. Am Ende, alss wir schon leise fürchten, es könne Verlängerung geben, triumphiert der Glentoran FC dank eines Tors nach Eckball.

The Oval, Heimat des Glentoran FC, heute Austragungsstätte des Pokalhalbfinals. Klick: größere Ansicht.

Also hinaus und ans andere Ende der Stadt, ins Oval, Heimat der Mannschaft, die wir gerade siegen sahen. Hier findet die Wiederauflage des Ligaspiels, dessen wir am Dienstag Zeuge werden konnten, statt. Die große Chance für die Reds, ihrem Traum vom Triple näher zu kommen und für die Crues, die Saison nicht komplett zu vervizekusen. Für uns ein Novum auf dieser Reise: das Stadion, inmitten einer deutlich loyalistisch beflaggten Wohngegend, hat tatsächlich vier Seiten. Hübsch ist es auch, sofern man Herz für alte kleine Stadien hat. Nur der Gästezugang, den wir als überzeugte Cliftonville-Freunde nehmen müssen, ist ein wenig gruselig – ein ca. achthundert Meter langer Käfig, der weit entfernt vom Haupteingang zwischen Autobahn und Wohngebiet zum Stadion führt. Und leider hat der Gott des guten Spiels heute offenbar Ausgang, jedenfalls bietet auch dieses zweite Halbfinale deutlich weniger Fußball als das Ligaspiel am vergangenen Dienstag. Die Crusaders halten gut dagegen, wäre man objektiv, würde man ihnen sogar ein Chancenplus attestieren. Aber in dieser Saison braucht es mehr, um Cliftonville zu schlagen. Ein Doppelschlag in der zweiten Halbzeit aus sehr berechtigtem (glaubt den Crusaders nicht, sollten sie Euch Anderes erzählen) Elfmeter und perfekt heraus gespieltem Konter nur eine Minute später macht die Sache klar. “And that’s why we’re champions” singt die Red Army erfreut und – huch – zündet ein bisschen rot vor sich hin rauchende Pyrotechnik.

Nordirische Bürotechnik. Klick: größere Ansicht.

Am Eingang zum Solitude, der Cliftonviller Heimat, hängt ein Schild, demnach nur Banner und Fahnen in den Klubfarben erlaubt seien. Im Stadion hängt ein Zehn-Punkte-Plan der UEFA, dass Rassismus und Sectarianism (also in etwa “Konfessionsgebundene Äußerungen”) nicht erwünscht sind. “Keine Politik im Stadion” hat in Nordirland, in dieser zerrissenen Gegend, die nach 3500 Toten und nun knapp fünfzehn Jahren Waffenstillstand so sehr um die Abwesenheit von Gewalt ringt, eine völlig andere Bedeutung. Und tatsächlich, lege ich die drei besuchten Spiele als Maßstab zu Grunde, gibt es recht wenig direkte Anzeichen des Konflikts. Ein Union Jack, der im Oval hängt; eine Zaunfahne in irischen Farben bei den Reds; in den Gesängen der Portadown-Anhänger taucht das mit den militanten Loyalisten und den Rangers aus Glasgow verbundene “No Surrender” auf, aber das war es schon. Überhaupt, das schottische Old Firm wirft seine Schatten auf den Norden der irischen Insel, als sportlich hochklassiges Surrogat für den in dieser Klasse in Nordirland nicht auffindbaren Fußball. Wer Cliftonville mag, mag Celtic, wer sich katholisch / irisch / republikanisch fühlt, auch.

Neben der in Großbritannien unvermeidlichen Warnung davor, dass man gefilmt wird, der Hinweis, dass nur Klubfarben erlaubt sind. Klick: größere Ansicht.

Erstaunlich bleibt, dass es auch in den schlimmsten Zeiten des euphemistisch “Troubles” genannten Bürgerkriegs immer einen Ligabetrieb gab. Der Hass und die Gewalt, die beide Seiten ausstrahlten und leider auch auslebten und inmitten dessen Fußballspiele, die nicht selten eben nicht nur unterschiedliche Fußballfarben, sondern auch die Farben der verfeindeten Lager repräsentierten – schwer vorstellbar. Dass die Qualität des Fußballs wenig Möglichkeit hatte, sich zu entwickeln (mal abgesehen von der geringen Einwohnerzahl Nordirlands und anderen Faktoren wie der Tatsache, dass Fußball auf der grünen Insel diesseits und jenseits der Grenze einen anderen Stellenwert hat als anderswo) – geschenkt. Es gibt Orte, an denen wichtiger ist, dass überhaupt Fußball gespielt wird, als die Frage, wie dieser aussieht.

Epilog.
Während ich damit beginne diesen Artikel zu schreiben, findet im Solitude das nächste Playoff-Spiel statt. Linfield, 51maliger Meister (und Meister der letzten drei Jahre) ist zu Gast. Der große Liam Boyce bringt die Reds zweimal in Führung, doch Linfield gleicht beide Male aus, bis die Ergebnisdienste – einen Stream sucht man vergebens, natürlich – in der 90. Minute stehen bleiben. Und verharren. Und nichts geschieht. Und dann irgendwann, spät in der Nachspielzeit: Elfmeter! Für Cliftonville! Verwandelt! Aus, aus, aus. Cliftonville ist Meister, das vierte Mal in der 124jährigen Vereinsgeschichte und in 112 Jahren ununterbrochener Ligazugehörigkeit! Jetzt noch am 4. Mai das Pokalfinale gewinnen und die unglaublichste aller Saisons für den Nord-Belfaster Verein ist perfekt.

Cui Bono?

Seit Wochen und Monaten spülen immer wieder die gleichen Schlagworte über uns hinweg. Glaubt man Innenministern, der Gewerkschaft der Polizei, der DFL und den Medien ist der Besuch eines Fußballspiels eine hochgefährliche Sache, quasi das gefährlichste was man so tun kann in Deutschland, und das leider erst seit kurzem. Früher jedenfalls war alles friedlich, oder wenigstens deutlich friedlicher – die immer wieder beschworene “Eskalation der Gewalt” legt dies nicht nur nahe, nein, sie lässt keinen anderen Schluss zu.

Und das obwohl wir wissen – wie jeder, der sich informiert oder eigene Erfahrungen gemacht hat – das all das nicht stimmt. Der viel zitierte Besuch eines Volksfestes ist gefährlicher, sich von A nach B zu bewegen, mit einem Auto, einem Fahrrad oder zu Fuß, ist gefährlicher. (Hier gibt es ein paar Zahlen – nur eine sei hier zitiert: An jedem Tag des Oktoberfestes gibt es fast so viel Verletzte wie in einer gesamten Saison in allen Stadien der ersten und zweiten Liga). Wer wie ich den Bundesligafußball der frühen und mittleren Achtziger erlebt hat, weiß, dass die Situation heute eine ganz andere ist, dass die seinerzeit vorherrschende Hooligankultur mit rechtsextremen Wurzeln, die die bundesdeutschen Kurven regierte, ein weitaus größeres und immer wieder ausgelebtes Gewaltpotential inne hatte.

Wie kann es also sein, dass trotzdem immer wieder von den oben genannten Quellen Gegenteiliges behauptet wird – und das ohne eine einzige statistische oder empirische Unterstützung? Die Antwort muss für jede einzelne Gruppe beantwortet werden und das beste Instrument, wie immer in solchen Fällen, ist das Cicerosche Cui Bono – Wem zum Vorteil?

Die Innenminister
Innenminister Friedrich und andere Hardliner wie Mecklenburgs Innenminister Caffier gefallen sich besonders gut darin, das Abbrennen von illegalen bengalischen Feuern als Gewalt zu bezeichnen. Wie Menschen Innenminister werden konnten, obwohl sie nachweislich Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben, ist eine Frage, die ich beim besten Willen nicht beantworten kann. Warum die Herren aber plötzlich dieses Thema so für sich entdecken, liegt auf der Hand: Der deutsche Linksextremismus gibt sich recht friedlich zur Zeit, dem Rechtsextremismus möchte man nicht zu sehr auf die Füße treten, da man nicht weiß, ob man da einem Rechtsextremisten, einem Mitarbeiter der eigenen Behörde oder beidem auf die braunen Zehen tritt und die Taliban sind auch verdammt weit weg. Woher also nehmen, die Gefahr, die ein Innenminister braucht wie die Luft zum Atmen? Aah: Fußballfans. Der moderne Fußball mit seinen vielen Millionen hat eine Lobby, sicherlich, die Jungs und Mädels da hinter dem Zaun eher nicht. Da lässt es sich doch vortrefflich eskalieren, verbal gesehen. Man muss es nur oft genug sagen.

Die Gewerkschaft der Polizei
Dass Polizei und Fußballfans Freunde werden, ist eher nicht zu erwarten. Und so überrascht es auch nicht, dass die GdP freudig erregt auf den Diffamationszug aufspringt. Und tatsächlich, ihnen könnte man die Sache noch am ehesten nachsehen, stehen sie doch da, wo es weh tun könnte, ihnen oder dem Gegenüber, den Fans. Dumm nur, dass die gewollte Konfliktschürung seitens der Partners in Crime der GdP dafür sorgen wird, dass die Gewalt tatsächlich eskaliert – ein Bärendienst, den die GdP da also ihren Mitgliedern aufbindet. Aber hej, hübsche neue Videotechniken und Drohnen und Schlagstöcke und verbessertes Reizgas und und und kann auch die Polizei nicht einfach so bestellen. Da braucht es schon einen Grund. Marodierende und ganze Städte in Schutt und Asche legende Fußballfans zum Beispiel.

Die DFL
Auch wenn die Hoffnung besteht, dass mit Andreas Rettig ein wenig Vernunft in die Chefetage der DFL einzieht, so hat sie doch bislang kein gutes Bild abgegeben. Sicher, ein Vertreter der Fans und der Zuschauer war die DFL, oder früher der DFB, nie. Die Geschäftsinteressen der Liga, und damit insbesondere der großen Vereine, waren immer oberste Priorität und mit Kunden kuschelt es sich eben schlechter als mit Vereinsmitgliedern, die ein berechtigtes Interesse daran haben, gehört zu werden. Und England macht es ja vor, dass es geht: Stimmung tot, Sitzplatzpreise ins Uferlose getrieben, Stadien trotzdem voll. Das dadurch entstehende finanzielle Plus ist das Ziel der DFL, anders kann man es nicht verstehen. Ob das englische Modell funktionieren kann ohne die andere Seite der Medaille – der Verkauf der Klubs an globale Multimilliardäre, die mit ihrem Geld wiederum globale Multimillionäre auf den Rasen holen – darf bezweifelt werden. Aber egal, probieren kann man es ja mal, Money makes the world go round und das Runde muss in den Geldbeutel.

Die Medien
Ja, nun. Einerseits liegen die Beweggründe dermaßen auf der Hand, dass sich die Frage nach dem Nutzen beinahe erübrigt: Sensation ist Teil des journalistischen Geschäfts, das treibt mitunter furchtbare Blüten, ist aber kaum zu verhindern. Andererseits aber sind die journalistischen Abgründe in diesem Fall so tief, dass man gar nicht glauben mag, wer sich da alles unbedingt selbst disqualifizieren möchte. Die schon erwähnte permanent formulierte “Eskalation der Gewalt”, die niemand bislang nachweisen mochte – was doch eigentlich zum 1 mal 1 des Berufs eines Journalisten gehört – die Maischbergschen “Taliban”, die “schlimmsten Ausschreitungen aller Zeiten”, von denen der Spiegel neulich zu berichten wusste (Eigentlich erwartet man ja ein “!!!11einself” hinter dem Ausdruck) – die Vertreter des unseriösen Journalismus überwiegen ihre seriös arbeitenden Kollegen bei weitem und beschränken sich keineswegs auf die Bild-Zeitung, von der man nichts anderes erwartet. Es muss leider die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der ökonomische Druck das journalistische Geschäft mittlerweile so stark im Griff hat, dass Qualität kaum noch eine Rolle spielt.

All dies könnte Otto Normalnichtodergelegenheitsfussballfan ja eigentlich herzlich egal sein und meinen Beobachtungen nach ist es das auch. Die Crux bei der Sache ist nur die, dass die tatsächlich stattfindende Eskalation des Konflikts von oben keineswegs spurlos an unserem Rechtsstaat vorbeigehen wird, da sich viele der vorgeschlagenen oder bereits vorangetriebenen Instrumente kaum mit unserem Rechtsverständnis decken. Noch nicht jedenfalls. Präventiv- und Kollektivstrafen, die per Gießkanne ausgekippt werden und bei denen die Schuld des Bestraften nur noch ein zu vernachlässigender Nebenfaktor ist; Schnellgerichte, die gar nicht in der Lage sind, rechtsstaatlich sauber zu arbeiten; Gesichts- und/oder Ganzkörperscanner, die jeglichen Datenschutz und das Prinzip von Privatsphäre ad absurdum führen – nichts weniger als der Abbau des Rechtsstaates, betrieben von Elementen, deren Denke den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlassen hat, ist das Ziel der Übung.

Und nun ja, wenn sich Otto Normalnichtodergelegenheitsfussballfan dann versehentlich mal in einem Kino aufhält, in dem eine Reihe vor ihm jemand unerlaubter Weise eine Zigarette raucht, und er daraufhin von einem Schnellgericht zu fünf Jahren deutschlandweitem Kinoverbot belegt wird, denkt er vielleicht auch noch mal nach.

Stellungsnahmen der Vereine zum Konzeptpapier “Sicheres Stadionerlebnis”

Am 27. September veröffentlichte die DFL das Konzeptpapier “Information und Diskussion über weitere Schritte zur Umsetzung der Ergebnisse der Sicherheitskonferenz in Berlin und der Innenministerkonferenz (“Sicheres Stadionerlebnis”). Rund zwanzig Tage später gab der 1.FC Union Berlin eine in Zusammenarbeit mit Präsidium und Fans erstellte Positionierung bekannt. Seitdem sind einige Vereine nachgezogen und haben ihrerseits Stellung bezogen. Die Links zu diesen Stellungsnahmen möchte ich hier sammeln. Wer also noch welche kennt, die fehlen, immer her damit bitte. Danke.

1. FC Union Berlin [pdf]
FC St. Pauli
1. FC Köln
FC Augsburg
Fortuna Düsseldorf
Hertha BSC
VfL Wolfsburg
TSV 1860 München
Borussia Mönchengladbach
1. FC Kaiserslautern
Eintracht Frankfurt [pdf]
VfB Stuttgart
Hamburger SV [pdf]

Anderes (Stellungsnahmen von Fanvertretungen solcher Vereine, bei denen sich der Verein selbst nicht geäußert hat)
Positionspapier Rote Kurve (Hannover 96)