Doing the time warp: Was übrigblieb in meinen Erinnerungen

1974.
Ich bilde mir ein, Erinnerungen zu haben. An ein Fernsehbild. Orangefarbene Trikots laufen vor meinem inneren Auge durch das heimatliche Wohnzimmer.
Das problematische an dieser Erinnerung: Das heimatliche Fernsehempfangsgerät bot seinerzeit nur Schwarz-Weiss. Irgendwer lügt hier.

1978.
Im Grunde meine erste ernsthafte Fußballerinnerung. Ärgerlich, denn: Einen Monat zuvor wurde der FC deutscher Meister – was somit knapp an meiner fußballerischen Bewußtseinswerdung entlang schrammte. Stattdessen bekam ich Cordoba. Dazu eine dröge Mannschaft, in der die Stars Bonhof und Vogts hießen. Fußballelend was my first love. Und das Endspiel, Mario Kempes mit dem Pokal in der Hand, um ihn herum durch das Stadion wehender Glitter.

1982.
Die ’78 gerissenen Wunden waren schon 1980 durch Hrubesch getilgt worden. 1982 war ein großartiges Turnier, trotz Gijon, trotz der Finalniederlage, denn es bot auch das Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich. Dieses Spiel machte alles andere wett, mein persönliches Spiel des Jahrhunderts. Was auch damit zusammenhängen mag, dass der Schütze des des 3:3 Klaus Fischer war. Auf schönste und artistischste Weise erzielt. Und das mir, als schon lange bekennenden Klaus Fischer Fanboy. Anschließend mein erstes Elfmeterschießen.

1986.
Deutscher Rumpelfußball. Ein gutes Spiel gegen Frankreich, zehn gute Minuten im Finale, in dem ausgerechnet der Tünn patzte – das wars. Die handfesten Erinnerungen sind rar gesäht. Schön war da nichts. Jedenfalls aus deutscher Sicht. Ansonsten gabs Maradona, Maradona, Maradona. Und die Hand Gottes. Was ja nicht Maradona war, sondern eben Gott. Was wiederum deckungsgleich ist. Verrückte Mythologie!

1990.
Eigentlich war Fußball nur halb so wichtig seinerzeit, aber trotzdem ist diese WM sehr präsent: Der deutsche Auftakt gegen Jugoslawien, Rudolf Völler und seine bespuckte Minipli Frisur, zwei hochdramatische Halbfinals – es gab so manchen Höhepunkt. Zum Finale ging ich in zum ersten Mal in meinem Leben in eine Kneipe um Fußball zu gucken, was angesichts des damaligen allgemeinen Fußball-Sehverhaltens durchaus als Trendsetzerei betrachet werden kann – jedenfalls verloren sich nur wenige Zuschauer in der Lokalität, was meinen Nebenmann nicht daran hinderte, mir bei der Verwandlung des erschlichenen, aber verdienten Elfmeters die Brille von der Nase zu boxen. Völlig unabsichtlich, versteht sich. Hat er jedenfalls behauptet.

1994.
Fußball war immer noch nicht so richtig wichtig. Diesmal allerdings mit der Folge, dass auch nicht viel hängen blieb in der Erinnerung. Genau genommen eigentlich nur ein deutsches Spiel gegen Südkorea, das beinah noch verloren ging, Yordan Letchkov und das langweiligste Finale aller Zeiten. Mindestens. Ich gähne jetzt noch.

1998.
Deutscherseits die konsequente Fortsetzung der 94er WM mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln: Wörns. Hamann. Jeremies. Tarnat. Heinrich. Uralt Matthäus. Fußballerische Brillanz sah auch damals schon anders aus. Kleines, noch nicht dickes Ronaldo tanzt durch das Turnier und ist gottseidank im Finale mit etwas anderem beschäftigt als Fußball zu spielen, dafür durfte der eh viel sympathischere Zidane das Ding für die eh viel sympathischeren Franzosen klar machen. Schön.

2002.
Viele bunte Erinnerungen kommen auf und das nicht nur, weil das Turnier zeitlich noch näher dran ist. Die weinenden Italiener, die einmal im Leben erfahren mussten, wie es ist, durch Beschiss rauszufliegen – sonst rollen sie sich ja gerne theatralisch auf der anderen Seite. Titan Kahn, der im Finale, dem einzigen wirklich guten Spiel der deutschen Mannschaft, den Tünn machte. Das ca. 468ste Aufeinandertreffen Argentiniens und Englands bei einer WM. Und: Regelmäßiges Gruppenfrühstücken morgens um halb Neun in meinem überfüllten Wohnzimmer.

2006.
Einmal wollte ich es mir von der Nähe ansehen: Dieses Fanmeilendingens da in der Mitte Berlins. Weil aber in diesem Sommer der neuentdeckten Fußballkneipen soviel zu tun war, fiel dann ohne weitere Erklärung die Wahl auf das vielversprechende Viertelfinale Schweiz vs. Ukraine. OK, „vielversprechend“ ist natürlich ganz und gar gelogen, „nichtsversprechend“ wär korrekter – insofern ein Spiel, das Extremes versprach und auch genau dies hielt. Null Torchancen auf beiden Seiten in 120 Minuten, so jedenfalls will es meine Erinnerung, dazu noch vier verschossene Strafstöße im Elfmeterschießen. Der vorher vermutbaren Attraktivität dieser Begegnung angemessen, war die Fanmeile ziemlich leer (scheißeteuer natürlich auch) und es war wohl der einzige Tag, während des ganzen Turniers, an dem es regnete. Super Sache, so eine Fanmeile.

2 Antworten auf „Doing the time warp: Was übrigblieb in meinen Erinnerungen“

  1. auf den Punkt gebracht: “in der die Stars Bonhof und Vogts hießen”
    Puh.

    Hatte deren Vereinszugehörigkeit einen erschwerenden Einfluss oder warst Du für derlei Rivalitäten noch zu jung?

    1. Nein, das spielte 1978 in der Tat noch keine Rolle. Ich fand die auch toll damals. Vermutlich jedenfalls. Aber so im Nachhinein sind sie mir haften geblieben als die Gesichter dieser Mannschaft. Und das sagt dann doch einiges aus, find ich.

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