Identität und Gnadenbrot

Das Geraune ist groß. Die Empörung auch. Altgediente Helden werden vom Hof gejagt, die Volksseele wütet und schreit.
Die Rede ist von Thomas Häßler, Matthias Scherz und Dirk Lottner. Diese drei ehemaligen Spieler, so berichten die stets um sachliche Aufklärung bemühten Kölner Medien, werden in Zukunft nicht mehr in Lohn und Brot beim 1. FC Köln stehen. Das taten sie nämlich nach Karriereende, wenn auch im Falle Häßler über den Umweg Nigeria. Nun ist Icke Techniktrainer, Matthias Scherz verantwortlich für Spielerentwicklung und Karriereplanung im Nachwuchsbereich und Dirk Lottner war Trainer der U17 bis er unter Frank Schaefer, dessen Zukunft ebenfalls ungeklärt ist, Co-Trainer der ersten Mannschaft wurde. Als solcher ist unter Solbakken, der seinen eigenen Co-Trainer mitbringt, kein Platz mehr für ihn.
In der Kasse des FC, so die in den Berichten mitgelieferte Begründung, klafft ein großes Loch und der Sparzwang diktiere diese Personalpolitik.

Die Empörung, das liegt auf der Hand, speist sich aus einer durch diese mutmaßliche Personalpolitik wahrgenommene Schwächung der Vereinsidentität. Alte Helden stellen eine Bindung dar, zu besseren Zeiten, insbesondere aber auch zum Heimatsgefühl, welches ein Verein vermittelt und welches für viele Fans von großer Wichtigkeit ist.
Und FC-Helden sind die drei genannten allemal, auch wenn ich zugeben muss, dass ich es Dirk Lottner bis heute nicht verzeihen kann, dass ihm sein plötzlicher Starstatus damals nach der ersten erfolgreichen Aufstiegssaison unter Lienen wichtiger als der Erfolg der Mannschaft war und er mit seinem leider gewonnenen Machtkampf gegen Lienen hauptursächlich für den zweiten Abstieg verantwortlich war. Aber solche Feinheiten verwirren nur und werden gerne ausgeblendet – der Mann spricht kölsche Tön, der is ne Held. Doch genug davon, ich echauffiere mich beim Thema Lotte immer zu sehr.

Natürlich sind die Drei – wie übrigens auch Paul Steiner, der als Scout ebenfalls auf dieser “Abschussliste” steht; der bekannteste “WM Tourist von 1990”, der 291 mal für den FC auflief, der aber offenbar keinen Heldenstatus genießt, denn sein Name wird in den Empörungsreden selten genannt – natürlich sind diese drei verdiente und große Spieler (also, naja.. Lottner…) des 1. FC Köln. Und natürlich sind sie in der Lage Identität zu stiften und natürlich ist der Verein verpflichtet, ihnen Dankbarkeit zu zeigen.

Aber reicht “Dankbarkeit” als Einstellungsmerkmal? Wer möchte beurteilen können, ob Paul Steiner ein guter Scout ist? Icke Häßler wird auf alle Zeiten einer meiner ganz persönlichen Fußballgötter bleiben, und als Mensch – soweit ich das aus der Entfernung beurteilen kann – schien er mir immer sehr sympathisch zu sein – aber als Trainer, mit den modernen Anforderungen an Methodik und Pädagogik, kann ich ihn mir nicht vorstellen. Den Aufgabenbereich eines Verantwortlichen für “Spielerentwicklung und Karriereplanung im Nachwuchsbereich” kann ich mir nicht genau vorstellen, ob Mattes Scherz diese Aufgabe erfüllen kann, weiß ich noch viel weniger. Sind diese Jobs also nichts weiter als ein Gnadenbrot für verdiente Spieler, das moderne Äquivalent zum früheren Kiosk, der so manchen ehemaligen Spieler nach seiner Karriere erwartete?

Ja, natürlich, wie schon gesagt: Dankbarkeit ist wichtig. Dafür zu sorgen, so weit man kann, dass diese Spieler, die lange viel für den Verein gegeben haben, nicht unter die Räder kommen, wie so manch anderer ehemaliger Fußballprofi, auch. Aufgaben im Verein, die wichtig sind für die sportliche Weiterentwicklung, aber jemanden anzuvertrauen, dessen einzige Qualifikation es möglicherweise – wie gesagt: wirklich beurteilen kann ich es nicht, ebenso wenig wie jene, die sich echauffieren – ist, vor 20 Jahren brillante Pässe gespielt zu haben oder vor 25 Jahren eine Abwehr organisiert zu haben, klingt in meinen Ohren wenig sinnvoll.

Ich kann jeden verstehen, der Icke, Mattes, Lotte und Paul gerne als Identifikationsfiguren im Verein hätte, auch für mich sind sie dies auf eine gewisse Weise. Wer sich nun allerdings empört und Gift und Galle spuckt, möge bitte beim nächsten misslungenen Scouting, bei der nächsten misslungenen Flanke oder beim nächsten Jugendspieler, der die Rheinseite wechselt, schweigen und sich daran freuen, dass Steiner, Häßler und Scherz einen Job gefunden haben.

P.S.: Da die Empörung, wie gesagt, auf Zeitungsberichten beruht, ich aber keine Lust habe mich schon wieder mit der Kölner Presse auseinanderzusetzen, hier ein paar Fakten: Am 12. Mai gab der FC bekannt, dass die Verträge von Paul Steiner und Matthias Scherz nicht verlängert werden. Thomas Häßler ist beim FC Thun als Cheftrainer im Gespräch und von Dirk Lottner berichtet der Kölner Stadtanzeiger heute, dass “eine neue Aufgabe” für ihn gesucht werde – dies allerdings unter der Überschrift “Kein Job für Dirk Lottner“. D’oh.

5 Antworten auf „Identität und Gnadenbrot“

  1. Du hast schon recht Außer Thema Lottner mal wieder sehr sachlich angegangen. 😉

    Kann das auch nicht wirklich beurteilen und finde, die Presse handelt mal wieder gerne im Sinne der Auflage. Denn die Qualität der Arbeit können nun wirklich die wenigsten beurteilen (ausgenommen der kurze Leistungszeitraum von Schaefer/Lottner an der Seitenlinie).

    Ganz subjektiv sei aber dazu gesagt, dass ich schon eine Qualitätssteigerung unter Icke gemerkt habe was die Standards angeht. Da waren wir diese Saison, zumindest gefühlt, deutlich gefährlicher als vorher. Ob das alleine am kleinen Mann liegt wage ich allerdings nicht zu beurteilen.

    Ich für meine Verhältnisse würde gerne Icke weiter am GBH sehen. Jeden Tag eine Stunde Freistosstraining sollte dann aber auch reichen. 😉

  2. “die stets um sachliche Aufklärung bemühten Kölner Medien”

    Vielen Dank, ich musste herzlich lachen. Ansonsten schön unaufgeregte Analyse der Situation. Hässler werde ich auch vermissen, als Typ. Ob es auch sportlich ein Verlust ist vermag ich nicht zu beurteilen. Ich glaube aber schon, daß die Entscheidungsträger um Finke genau dies können.
    Ebenfalls schade finde ich Scherz. Ich glaube schon, daß eine Person im Verein existieren sollte, die mit den Jungs aus den U-Mannschaften mal Essen geht, bei Problemen ansprechbar ist, und als so eine Art Verbindungsglied zwischen Verein/Profis und Jugendspielern fungiert. Und ich meine das Gefühl gehabt zu haben, daß sich Matze schon immer ein wenig um die Spieler am Rand gekümmert hat, in seiner noch aktiven Zeit.

  3. hehe Da hättest auch gut auf mich verweisen können, der sich da aber weniger von der Presse hat leiten lasse.

    Ich kann die Sparzwänge im Verein verstehen und mag nicht beurteilen, inwieweit Lotte, Icke und Matze für die sportliche Entwicklung wichtig wären. Aber gerade für die Jugend sind solche “Idole” wichtig und durchaus gewinnbringender als namenlose Herren, die vielleicht qualifiziert, aber nicht bekannt sind. Gerade Kinder brauchen Vorbilder, die sie von irgendwoher kennen, um Elan und Willen zu entwickeln.

    Dafür sind Ex-Spieler durchaus wichtig. Deshalb finde ich es schade, dass solche Menschen den Klub verlassen müssen

  4. Dankbarkeit im Profifussball Ich halte das Thema “Dankbarkeit” im Profifußball für nicht angebracht. Kein Spieler zeigt gegenüber dem Verein und/oder den Fans gegenüber Dankbarkeit. Vereine werden gewechselt wir Überzeugungen der CDU bei der Atomenergie. Es handelt sich um Profis die während Ihrer Karriere genügend Geld verdienen konnten, um nach der Karriere etwas anderes als Fußball zu spielen zu tun. Ein Büdchen aufmachen zum Beispiel. Alex Voigt ist hierfür (Dankbarkeit, Profi, 1. FC Köln, Gladbach, Karriereende) ein sehr gutes Beispiel.

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